Freiheit
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Freiheit

1 Das politische Konzept der Freiheit

Politische Forderungen nach Freiheit wurden schon im Mittelalter gegenüber Herrschern durchgesetzt, um deren Willkür einzugrenzen. So war es üblich, dass Könige oder Bischöfe mit dem sie unterstützenden Personenkreis einen Vertrag (Kapitulation) schlossen, in dem sie ihnen gewisse Rechte zusicherten. Eines der ersten Dokumente dieser Art, das nicht nur bis heute erhalten ist, sondern auch noch Rechtsgültigkeit im angelsächsischen Raum geniet, ist die lateinisch verfasste Magna Carta Libertatum (Großer Brief der Freiheiten) König Johanns Ohneland von 1215.

In einer frühen englischen Übersetzung dieses Textes heit es [2, x 39]:

No Freeman shall be taken, or imprisoned, or be disseised of his Freehold, or Liberties, or free Customs, or be outlawed, or exiled, or any otherwise destroyed; nor will we pass upon him, nor condemn him, but by lawful Judgment of his Peers, or by the Law of the Land.

Dieses Freiheitsrecht bekommt später die Bezeichnung: Habeas corpus (lateinisch: du sollst den Körper haben) aufgrund der lateinischen Formulierung eines Haftbefehls. Hier geht es natürlich nur um Rechte für Adelige. Dass es sich bei diesem Recht um ein Menschenrecht mit universeller Gültigkeit handelt, ist ein Gedanke der Aufklärung und somit dann auch der Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts. So lautet das Motto der französischen Republik Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Unter Brüderlichkeit wird heute gern Solidarität verstanden, was aber nicht ganz zutrit, denn Solidarität beruht ja auf einer grundsätzlichen Sympathie mit denjenigen, mit denen man solidarisch ist. In der französischen Revolution sollte damit ausgedrückt werden, dass alle Franzosen, die oft wenig gemeinsam hatten (nicht einmal dieselbe Sprache), dennoch zusammengehören und in diesem Sinne brüderlich sind. Das lässt sich heute vielleicht am Besten durch das Wort Vielfalt ausdrücken, weshalb eine moderne Form dieser Formel Freiheit, Gleichheit, Vielfalt lauten könnte.

Der Freiheitsgedanke der französischen Revolution erreichte auch Deutschland und wurde insbesondere in den Befreiungskriegen (gegen die Franzosen) hochgehalten. So erklärte der Franzosenhasser Arndt den (letztlich aus Frankreich stammenden) Freiheitsgedanken zum wichtigsten deutschen Wert:

4. Das dritte, deutscher Männer Weide,
am hellsten soll’s geklungen sein!
Die Freiheit heiet deutsche Freude,
die Freiheit führt den deutschen Reih’n;
für sie zu leben und zu sterben,
das ammt durch jede deutsche Brust;
für sie um groen Tod zu werben,
ist deutsche Ehre, deutsche Lust.

(Ernst-Moritz Arndt, 1815; [10, Lied 102])

Der Text zeigt sehr schön, welche Bedeutung Freiheit im 19. Jahrhundert hatte. Das Konzept des modernen Verfassungsstaates, der infolge aufklärerischer Ideen in Europa im 19. Jahrhundert entstand, kann als Ergebnis des Strebens nach Freiheit gesehen werden bzw. deniert sich auch aus diesem Streben heraus. Verfassungen garantieren nämlich (in Fortsetzung der Idee der Magna Carta) die bürgerliche Freiheit.

Streben der Menschen nach Freiheit – moderner Verfassungsstaat

2 Freiheit im modernen Verfassungsstaats

Im modernen Verfassungsstaat kann Freiheit unter drei Aspekten betrachtet werden:

  •  Freiheit vom Staat (negative Freiheit)
  •  Freiheit für den Staat (positive Freiheit)
  •  Freiheit durch den Staat

2.1 Freiheit vom Staat

Der Staat könnte die Sicherheit seiner Bürger am besten gewährleisten, wenn er durch ein System der Totalüberwachung die Freiheit der Bürger stark einschränkte. So ein Staat ist aber nicht wünschenswert. Daher ist ein Abwehrrecht des Bürgers gegenüber dem Staat nötig; in diesem Zusammenhang ist oft von negativen Freiheitsrechten die Rede, weil hier festgelegt wird, was den Staatsorganen nicht erlaubt ist: so darf der Staat weder Menschen ohne Grund und ohne Gerichtsverfahren einsperren, noch Zensur ausüben, noch in die informationelle Selbstbestimmung der Menschen eingreifen usw. Die Freiheitsrechte binden alle Gewalten des Rechtsstaats: im Fall der Exekutive und der Rechtsprechung ist das unmittelbar einleuchtend, wichtiger (und gleichzeitig schwieriger) ist die Bindung der Legislative, denn Gesetze dürfen nicht gegen Freiheitsrechte verstoen, obwohl Gesetze auf Freiheitseinschränkungen abzielen können, sofern diese an enge und klar beschriebene Umstände gebunden sind.

Die von der Verfassung garantierten Freiheiten müssen natürlich für alle Individuen gleichermaen gelten und alle Menschen müssen vor dem Gesetz gleich sein. Das ist der Unterschied zur Magna Carta, wo die verbrieften Rechte nur ein Adelsprivileg waren, und Adelige vom Staat bzw. König anders behandelt wurden als andere Menschen. Freiheitsprivilegien für Leistungsträger, Reiche oder Angehörige einer bestimmten Religion sind in diesem Sinne ebenfalls abzulehnen und ein Rückschritt in voraufklärerische Vorstellungen.

Sicherheit ist kein Grundrecht, sondern ihre Gewährleistung ist Aufgabe des Staates. Der Erfüllung dieser Aufgabe sind durch die Freiheitsrechte Grenzen gesetzt. Natürlich ist hier immer eine Abwägung impliziert: Der Staat muss möglichst viel Sicherheit gewährleisten bei möglichst geringer Einschränkung der Freiheit der Einzelnen. Wie schwierig das ist, zeigt sich besonders, wenn man unter Sicherheit auch soziale Sicherheit versteht.

Die negative Freiheit vom Staat ist übrigens ein Individualrecht, kann also nur von Individuen in Anspruch genommen werden. So darf der Staat die informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen nicht einschränken, wohl aber die von z. B. Unternehmen – mit anderen Worten: Firmen haben genauso wenig Privatsphäre wie der Staat selbst.

2.2 Freiheit für den Staat

Ein anderer Aspekt der Freiheit besteht im modernen Verfassungsstaat darin, dass alle Menschen in und an ihm mitwirken können. Dieses positive Freiheitsrecht wird auch als republikanische Freiheit bezeichnet. Es umfasst die Teilhabe an der politischen Willensbildung, die Mitwirkung im demokratischen Staat, die Mitverantwortung in der Gesellschaft und die Mitbestimmung in Vergemeinschaftungen jeder Art (Vereine, Gesellschaften, Betriebe usw.). Auf der republikanischen Freiheit beruht das Prinzip, dass die Leitung öffentlicher Einrichtungen demokratisch legitimiert sein muss (daher die Bezeichnung republikanisch von res publica öffentliche Angelegenheit) und dass in der Drittwirkung Vereine und Gesellschaften demokratisch organisiert sind.

Oft spielen positive und negative Freiheitsrechte zusammen: So beruht zum Beispiel die Lebenspartnerschaft oder Lebensgemeinschaft auf dem Recht auf freie Assoziation (negatives Freiheitsrecht), aber eben auch auf dem positiven Freiheitsrecht der Mitverantwortung in der Gesellschaft.

2.3 Freiheit durch den Staat

Der Staat ist der Garant individueller Freiheit (nur in dieser Hinsicht ist überhaupt eine Vergleichbarkeit mit der Forderung nach Sicherheit gegeben). Die Realisierung positiver und negativer Freiheitsrechte ist an gewisse Grundbedürfnisse gebunden, die erfüllt sein müssen, damit diese Rechte überhaupt wahrgenommen werden können: Hierzu gehört vor allem die Bildung, denn ungebildete Menschen können ihre Rechte nicht erkennen und nur schlecht von ihnen Gebrauch machen. Natürlich soll der Staat die Bildung nicht selbst verabreichen, sondern nur sicherstellen, dass sich Menschen umfassend bilden können. Den Zugang zu Bildung zu verhindern oder zu erschweren, verstößt somit gegen die Prinzipien des demokratischen Staats.

Ein wichtiger Aspekt der Freiheit durch den Staat ist die Freiheit von Not, denn ohne eine materielle Absicherung ist es praktisch unmöglich, Freiheitsrechte in Anspruch zu nehmen. Daher kam schon in der franzosischen Revolution die Parole auf: Le pain est le droit de l’homme. (Brot ist Menschenrecht.). Da in der heutigen Gesellschaft die Freiheit von Not nicht durch die Verteilung von Lebensmitteln gesichert wird, sondern durch ein personliches Einkommen, muss der Staat ein Einkommen garantieren. Dies tut er in Deutschland ja auch { allerdings zur Zeit auf eine Weise, die unverhältnismäßig andere Freiheiten einschränkt. Hier ist also eine Reform nötig: es muss ein Recht auf sichere Existenz und gesellschaftliche Teilhabe durchgesetzt werden, das ohne die Einschränkung von anderen Freiheitsrechten auskommt.

2.4 Freie Entfaltung des Individuums und Chancengleichheit

Bezüglich des Zusammenspiels von Freiheit und Gleichheit weist der Rechtswissenschaftler Paul Kirchhof 2009 in seinem Buch Das Ma der Gerechtigkeit auf folgenden wichtigen Aspekt hin [8, 135f.]:

Die Forderung nach gleichen Lebensbedingungen für alle Menschen führt zur Diktatur. Die Menschen mit immer wieder neuen – anderen { Ideen und freiem Verhalten werden zu Feinden der Gleichheit [und] deshalb bekämpft [. . . ] Das für jeden gleiche Glück verkündet zunächst – zu Recht – die Strafgleichheit, die gleiche Vertragsfreiheit, die Steuergleichheit. Doch wird dann nicht der gleiche Zugang zu öffentlichen Ämtern, sondern ein Verbot der Differenzierung nach Eignung, Befähigung und Leistung erzwungen, [. . . ], werden [. . . ] die Erfolgreichen und Andersdenkenden verhaftet

Hier zeigt sich, dass Gleichheit nicht gleichmacherisch wirken darf, weil damit die Freiheit beschränkt und eine plurale Gesellschaft verhindert wird.

In einem Blogbeitrag [4] und einem Animations lm [5] hat der Spiele-Entwickler Marcel-Andre Casasola Merkle (alias zeitweise) sehr schön dargestellt, worum es bei dem Verhältnis von Freiheit und Gleichheit eigentlich geht: Jeder Mensch muss ein Maximum an Freiheit genießen können, aber es muss eben auch gewährleistet sein, dass jeder die Chance hat, am Spiel der Freiheit teilzuhaben. In diesem Sinne ist Chancengleichheit zu verstehen. Das Konzept leitet Casasola Merkle aus der Spiele-Entwicklung ab: Ein Spiel ist für einen Mitspieler uninteressant, wenn er von vornherein nicht die gleiche Chance hat wie andere Mitspieler, sich in das Spiel in der von ihm gewünschten Rolle einzubringen. Das Gleiche gilt für Staat und Gesellschaft: Wer dort keine Chance für sich sieht, wird zum Auenseiter.

Genauso wie ein Spiel dadurch interessanter wird, dass es viele Möglichkeiten offen lässt und auf Tabus und Verbote verzichtet (über die sich die Spieler womöglich schnell hinwegsetzen würden), ist es in der Demokratie wichtig, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, selbstbestimmt zu leben und von einem Maximum an Freiheit Gebrauch zu machen. Dabei darf der Staat nicht bestimmen, welchen Gebrauch die Menschen von ihrer Freiheit machen.

3 Freiheit in Gefahr

Die größte Gefahr für die Freiheit geht vom Staat aus. Gerade angesichts der Gefahren des Terrorismus werden eigentlich ganz selbstverständliche Freiheitsrechte unverhältnismäßig eingeschränkt: Man denke an die Speicherung der Verbindungsdaten aller Telekommunikationsteilnehmer (einschlielich ihrer Standortdaten) und die Videoüberwachung. Beide Maßnahmen können keine Anschläge verhindern. Aber auch ohne Terrorgefahr gibt es ständig neue Vorstöße gegen Freiheitsrechte: Man denke an die Internetsperren, die im Glückspielstaatsvertrag vorgesehen sind (und wo die mangelnde Verhältnismäßigkeit offensichtlich ist), oder an den Zensus, bei dem der Staat in die Privatsphäre der Befragten eindringt (z. B. durch Fragen zum religiösen Bekenntnis). Im Hinblick auf die positiven Freiheitsrechte werden Bürger besonders durch die erschwerte Zugänglichkeit zu öffentlicher Information behindert. In Bezug auf Open Data ist Deutschland gerade im Vergleich zu den osteuropäischen Nachbarn ein Entwicklungsland [6]. Intransparenz und der Mangel an Möglichkeiten, sich direkt politisch zu beteiligen, sind Gefahren für die Freiheit.

Nicht nur der Staat bedroht die Freiheit. Auch übermächtige Firmen, die schon fast staatsähnlichen Charakter haben, stellen eine Gefahr dar. Hier ist im Besonderen facebook zu nennen, ein Konzern, dem es gelungen ist, einen Teil des Internets zu privatisieren: Wo früher die Kommunikation über E-Mail oder offene Benachrichtigungssysteme erfolgte, kommunizieren heute Millionen Menschen über die Plattform des facebook-Konzerns; es ist beunruhigend zu beobachten, dass auch die Organisation von Widerstand gegen Unrechtsstaaten auf facebook angewiesen ist.

Google hat inzwischen das Monopol auf Suchanfragen aller Art: Wissensbescha ung unter Umgehung von Google ist praktisch nicht möglich. Ähnlich wie der Staat ist auch Google nicht zwingend böse, doch bedeutet das Monopol eine Einschränkung der Informationsfreiheit. Dagegen ist das in Deutschland so vehement angefeindete Google-Streetview-Projekt kaum ein Problem. Die Kampagnen gegen Streetview sollten wohl eher von staatlichen Überwachungsmanahmen ablenken [9].

Neben Firmen geht eine Gefahr auch von großen Interessenverbänden aus. So setzen sich der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) und die Gewerkschaft ver.di für Leistungsschutzrechte in der Verlagsbranche ein [7]. Solche Leistungsschutzrechte sind jedoch geeignet, die Informationsfreiheit zu beeinträchtigen und Verbraucher in ihren Rechten einzuschränken; letztlich stehen sie auch in einem Konflikt zu den Rechten von Urhebern [11].

Die größte Gefahr liegt jedoch in einem schwindenden Freiheitsbewusstsein, das im Grunde auch die schon genannten Gefahren bedingt. Hierzu hat sich Paul Kirchhof ebenfalls geäußert [8, 268]:

Eine Gefahr für die Freiheit liegt in den vermeintlich gesicherten Freiheitsrechten, die jede Anstrengung für die persönliche Freiheit erlahmen und jede individuelle Bewährung in den alltäglichen Freiheitserprobungen erschlagen lassen.

Zum Glück ist durch die Aktivitäten des Chaos Computer Clubs und durch die Piratenpartei ein Ende von Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit in Sicht, so dass wir mit (verhaltenem) Optimismus in die Zukunft schauen können. Gerade in der vernetzten Welt unserer Zeit ist Freiheit in Gefahr, und es ist nötig, sie zu verteidigen.

* Der Text ist eine Kurzfassung meines Vortrags auf der OpenMind 2010 in Kassel [3] und enthält ein paar grundlegende Überlegungen zum Thema Freiheit, das für das Grundsatzprogramm der Piratenpartei von großer Bedeutung ist. Einige der Überlegungen – besonders die Hinweise auf Arndt und Kirchhof – verdanke ich den Gesprächen mit meinem Kollegen Axel Bernd Kunze [1], der mich mit einer Vielzahl von Anregungen versorgt hat.

Literatur

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