Gedankensplitter – Richtungsstreit bei den Piraten?
Gedankensplitter – Richtungsstreit bei den Piraten?

Gedankensplitter – Richtungsstreit bei den Piraten?

Ein Gastbeitrag von Joachim Paul

Bullshit, liebe Leute, Bullshit!

Allerdings hat der Landesverband NRW unserer Partei sich auf dem letzten Landesparteitag am 5. April in Bielefeld in einem Positionspapier mit knapper Mehrheit die Bezeichnung „sozialliberal“ gegeben. Konkurrenten waren erstens keine Bezeichnung und zweitens „linksliberal“.
(Wem-auch-immer-sei-Dank, es war bloß in Bielefeld 😉 )

„sozialliberal“ oder „linksliberal“, das sind Adjektive, die ich mir nicht mal an die Klotür hängen würde.

Obwohl, ich habe großes Verständnis für diese Entscheidung, wirklich. Insofern kann ich damit leben. Denn auch wir Piraten – als Parteigründung und als Symptom einer fundamentalen Demokratiekrise – sind der Macht der Erinnerungsindustrie unterworfen, die gerade in Krisenzeiten zu scheinbar Altbewährtem greifen lässt, denn Krisenzeiten sind immer Zeiten hoher Informationsdichte.

Über das, was die Inhalte des Sozialliberalismus und seine mehr als 2000 Jahre alte Ideengeschichte angeht, ist hier schon kompetent und historisch eingehend von Martin Haase geschrieben worden, so dass es nicht einer Wiederholung bedarf.

Allerdings ist diese Bezeichnung – so richtig und historisch gut sie sein mag – von CDUSPDFDPGrünen in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch eine betont antisoziale Politik, zuletzt durch die Agenda 2010, derart gründlich verbrannt worden, so dass ein piratiger Wiederbelebungs- oder Auffrischungsversuch, etwa als „sozialliberal 2.0“, mehr als fraglich erscheinen muss.

Zumal dürfte es des weiteren sehr schwer sein, ein Label (Sorry, Fotios!) zu kapern, das im Bewusstsein der Bevölkerung eben immer noch vornehmlich mit SPD und FDP in Verbindung gebracht wird.

Das Positionspapier der NRW-Piraten ist nach meiner Einschätzung eher als abgrenzende Reaktion auf eine befürchtete Radikalität einiger allzu laut erscheinender linker Stimmen innerhalb der Partei zu werten. Ein Streit um Etiketten also, der innerhalb der Partei von miteinander kämpfenden „informellen Netzwerken“ geführt wird, auch Cliquen oder Peer-Groups genannt. Nichts weiter.

Gleichwohl bieten solche informelle Netzwerke leider einen guten Nährboden für einen kaum noch aufzudröselnden Pudding aus Rationalitäten, Irrationalitäten und Emotionalitäten.

Download des vollständigen Artikels: Gedankensplitter – Richtungsstreit bei den Piraten?

 

9 Kommentare

  1. Rainer

    Tut mir leid, so ganz kann ich diesen Gedankengängen nicht folgen.
    Begriffe wie „sozialliberal“ in ihrer ursprünglichen Bedeutung halte ich für zutreffend für das, was die Piraten wollen.
    Wenn dir ein besserer Terminus einfällt, der den Sinn trifft, dann raus damit.
    Nur weil einige Begriffe und Begrifflichkeiten von anderen Parteien in der Vergangenheit „verbrannt“ wurden, haben diese ihre Bedeutung nicht verloren. Die „Soziale Marktwirktschaft“ der 60er Jahre hat funktioniert, den Menschen im Land ging es gut (gemessen an ihrer Zeit und den Lebensumständen) und es gab eine gewissen Zufriedenheit, auch mit den damaligen politischen Kräften.
    Dass die Politik aller (!) Parteien in den letzten 15 – 20 Jahren menschenverachtend und/oder -feindlich war, darüber sind wir uns vermutlich einig. Schließlich führte genau diese Erkenntnis auch zur Gründung der Piratenpartei.
    Doch statt unsere Richtung – menschliche, soziale Politik – weiterzuverfolgen, verlieren wir uns in „Sprachregelungen“ und Befindlichkeiten, bis hin zum Meinungsterror.
    Wer heute Begriffe wie Asylant (statt Asylbewerber) oder gar Zigeuner (statt Sinti und Roma) benutzt, wird in eine rechtsradikale Ecke abgedrängt, ohne dass man seine Meinung tatsächlich wahrnimmt.
    Und – was ich noch schlimmer finde – viele Piraten sehen ihre rechtextremen Gegner nur bei der NPD und wollen nicht begreifen, dass CDU/CSU die wirklich rechtsextreme Politik machen.
    Eine vom BND gesteuerte NPD soll lediglich davon ablenken.
    Dann gibt es (zu viele) Parteimitglieder, die für sich die Meinungshoheit beanspruchen und gar nicht mehr in der Lage sind, sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.
    Kurz gesagt: Wir haben es in kurzer Zeit geschafft, die Piratenpartei ad absurdum zu führen.

    Davon mal abgesehen, schreibst du in deinem Artikel, dass die Methoden der Vergangeheit, die zur derzeitigen Krise geführt haben, nicht geeignet sind die Krise zu bewältigen.
    Das ist ohne Zweifel richtig, aber ob die Ideen und Methoden, die uns als Partei vorschweben, diese Krise bewältigen können, ist mindestens ebenso fraglich. Eine Patentlösung hat wohl auch kein „Experte“ zu bieten, es bleibt ein Probieren nach dem Trial-and-error-System.
    Zumindest gibt es Mittel und Wege nicht alle Folgen der Krise auf den Normalbürger und braven Steuerzahler abzuwälzen, sondern auch die Verursacher daran zu beteiligen – diese sind aber politisch nicht opportun, weil die Politik längst von der Finanzwirtschaft (FED, BIZ, EZB) gesteuert und beeinflusst wird.

    Über eine Antwort würde ich mich freuen

  2. Julius

    Ich finde den obigen Kommentar, Entschuldigung, Rainer, leider wieder sehr bezeichnend für eine bestimmte Strömung innerhalb der Piratenpartei, die mich doch sehr zweifeln lässt, ob ich dort mein Kreuzchen machen soll. Es gleich in die Ecke des „Meinungsterrors“ zu schieben, wenn angemerkt wird, dass z.B. viele Roma nicht „Zigeuner“ genannt werden möchten und das als Beleidigung verstehen, geht mir eindeutig zu weit. Auch weiß ich nicht, warum jegliche Politik aller Parteien der letzten Jahrzehnte durchgehend „menschenfeindlich“ gewesen sein soll. Das halte ich ebenso für einen Allgemeinplatz wie der, dass die Politik von der Finanzwirtschaft gesteuert sein soll. Nichts gegen Kampfbegriffe (z.B. „Sicherheitsesoterik“) und radikale Forderungen (Wahlrecht ab Geburt, fahrscheinloser ÖPNV, BGE), aber viele Verallgemeinerungen und Verschwörungstheorien, die zwar so nicht in eurem Wahlprogramm stehen, die ich aber von vielen Piraten höre, die sich übertrieben oft auf die „Freiheitlich Demokratische Grundordnung“ und auf die „Meinungsfreiheit“ berufen – wohl aber eigentlich nur Angst haben, nicht gehört zu werden -, sind mir zu extrem. Von einer Partei erwarte ich inhaltliche Auseinandersetzung mit den Problemen, sonst bleibt jedes Programm und jeder Wahlkampf als Nicht-Regierungs-Partei plumper Contra-Populismus.
    Sich dazu noch selbst als „sozialliberal“ zu benamsen fand ich als Außenstehender ein wenig peinlich, weil ich erstens denke, dass euch diese Selbstbenennung vielleicht überhaupt nicht zusteht, und zweitens der Begriff inzwischen so weit ist, dass die Piratenpartei ihn quasi komplett neu definieren müsste, wozu ihr aber komplett die Reichweite fehlt. Meines Erachtens also eine Selbstüberschätzung. Aber, machen wir uns nichts vor, diese Selbstbezeichnung fand eh nur statt, um sich von einem wie auch immer gearteten innerparteilichen Feind abzugrenzen, was der ganzen Benennung dann eh komplett die sinnvolle Grundlage unter den Füßen wegzieht.
    Bitte, liebe Piratenpartei, lasst von mir aus den Rückschrittlichen, Libertären, Konservativen und Verschwörungstheoretikern ihre Stimmen, wenn euch so viel an innerparteilichem Pluralismus gelegen ist, wenn ihr sie aber („als Basis“ – auch so ein Quatsch, wie ich finde) für die Partei sprechen lasst, dann wird es vielen euren Wählern bald zu peinlich, bei euch ein Kreuz zu machen, denn, seien wir ehrlich, populistische oder radikale Allgemeinplätze verbreiten sich besser und schneller als komplexe Inhalte, „niemand“ liest Wahlprogramme, aber man möchte sich auch nicht dafür schämen müssen, wenn man in kleiner Runde beim Bier erzählt, wen man gewählt hat.
    Ihr seid eine Partei, also erarbeitet Positionen, besetzt Standpunkte (und bleibt da dann auch mal stehen), schärft euer Profil und schafft euch eine gemeinsame Außenwirkung, dann kommt das mit dem Namen für eure Ausrichtung schon ganz von allein.

    1. Rainer

      Hallo Julius,

      der Meinungsterror findet nicht so sehr in den Begrifflichkeiten statt, sondern darin, dass von einigen linksradikalen oder linksextremen Kräften innerhalb der Partei eine „Meinungshoheit“ beansprucht wird, die der propagierten Meinungsfreiheit diametral entgegensteht.
      JEDE Meinung sollte gehört werden, gerade die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, mit Andersdenkenden, gehört zum Grundbild einer Demokratie, nicht aber das Beleidigen oder in eine rechte Ecke Abschieben von ungeliebten Meinungen.
      Unser Weltbild unterscheidet sich oft auf Grund des persönlichen Alters. Wer die Entwicklung in Deutschland (ich bin ein Wessi) seit den 60er Jahren verfolgt hat, sieht vieles anders als die Nachwendegeneration.
      Die Übermacht der „Global Player“ in Wirtschaft und besonders Finanzwesen sit keine Schimäre und keine Verschwörungstheorie, sondern ein Fakt.
      Politiker sitzen nicht mehr an der Macht, sondern nur an der Regierung.
      Wenn du auf Grund der internen Meinungsverschiedenheiten die Piratenpartei nicht wählen kannst, dann sei es so.
      Wenn du aber CDU oder CSU wählst und dich über die Verhältnisse im Land wunderst oder gar ärgerst, dann solltest du noch einmal über all das nachdenken, was die Politik dieses Landes bestimmt.
      Ich könnte dir gerne ein paar Bücher von anerkannten Denkern empfehlen, die vielleicht deinen Blick für Missstände schärfen.
      Auch ich werde zur Europawahl nicht die Piraten wählen (obwohl ich Parteimitglied bin), da ich sie nicht für reif halte die europäischen Probleme zu erkennen.

      Ach ja, falls dir ein besser treffender Begriff als sozialliberal einfällt, wäre ich schon dankbar, ich habe bisher nichts treffendes gefunden und bin mir des Problems bewusst, dass der Begriff mit falscher FDP-Politik in Verbindung gebracht wird.

  3. LieberPirat

    Boaaah – schreibt da jemand ABGEHOBEN!
    Ein Abgeordneter?
    Ein Abgehobener!
    Ein FraktionsVorsitzender?
    Ein FremdworteVersteher!

    Weniger EGO und Narzißmus wäre gut – Politik ist für die BEVÖLKERUNG und nicht Klo-Beklebung da!

  4. Idahoe

    Sprachwirrwar

    Das Label der „Linken“ ist genausowenig geignet für einen Platz an der Tür des Aborts, als vielmehr für den selbigen. Verstärkt hinzu kommt, daß einige link sein mit links sein verwechseln und doch können beide Gruppen als die „Linken“ bezeichnet werden.
    Ich bin mir auch nicht sicher, wie hilfreich nur den Teil hier zu veröffentlichen, der nur auf das eine Label eingeht. Das ist wieder nur die Einseitigkeit der P(e)iratologen als missionarische Eiferer. Verbale Schlägertrupps, die P(e)iratologie nahe stehen, die Menschen instrumentalisieren. Der Oberguru ein Ökotheriker.

    Idiologen, die ihre eigene wirre Ideologie mit dem Kampf gegen andere wirre Ideologien begründen. Eine weitere Fehlgeburt der Mißgeburt Liberalismus oder
    Wenn der Glaube nicht hilft, hilft ganz bestimmt nur noch viel mehr Glaube.

    Alles wird gut oder eben auch nicht.

  5. Woran liegt es, daß so viele – mein persönlicher Eindruck – Piraten geradezu
    eine Aversion gegen die Attribute liberal und auch sozialliberal haben?

    Wird ein Begriff denn dadurch falsch, das andere ihn auch verwenden oder
    verwendet und in einem anderen, meines Erachtens falschen Sinne ausgelegt
    bzw. umgesetzt haben?

    Liberal heißt für mich sozial und trotzdem freiheitlich. Mit
    Bindestrich-Liberalismen kann ich persönlich nichts anfangen. Entweder man
    ist liberal oder man ist es nicht.

    Die Piratenpartei NRW und auch andere Gliederungen haben sich für das
    Etikett, das Label, das Prädikat sozialliberal entschieden.

    http://www.piratenpartei-nrw.de/2014/04/06/nrw-piraten-sind-sozialliberal/

    Was ist daran falsch? Das Adjektiv sozialliberal stand bisher überwiegend
    für eine Koalition aus SPD und FDP – vor allem zwischen 1969 und 1982 auf
    Bundesebene.

    Sind die Piraten also nun eine Mischung aus SPD und FDP der 1970er Jahre?
    Ich hoffe nicht.

    Nein, sie haben sich für ihr Programm, für ihre Politik einen roten,
    meinetwegen auch einen orangen Faden gegeben.

    Dadurch hat man den Anspruch, anders sein zu wollen, als die sogenannten
    Altparteien nicht aufgegeben.

    Man hat den Wählern eine Hilfestellung gegeben, die Piratenpartei besser im
    politischen Spektrum einzuordnen. Das ist gut. Denn auch die Piraten können
    sich ihre Wähler nicht neu erfinden, sondern sind auf die Wähler angewiesen,
    die nun einmal gelernt haben, in bestimmten Begriffen zu denken.

    Das mag uns nicht gefallen, wir werden es aber nicht von heute auf morgen
    ändern. Auch ich halte nichts vom Links-Rechts-Schema. Denn es geht nicht um
    links oder rechts, sondern um Freiheit oder Zwang, um Individualismus oder
    Kollektivismus.

    Und die Positionierung, die besagt, die Piraten seien weder links noch
    rechts, besteht nach wie vor. (Das wäre bei einer Entscheidung für
    linksliberal schwieriger geworden.)

    Die Bezeichnung sozialliberal und damit letztendlich liberal – sozial und
    trotzdem freiheitlich – ist aber nicht genug.

    Denn sie muß auch mit Leben gefüllt werden.

    Ich war zwar (leider) nicht dabei, als die Piratenpartei Deutschland am 10.
    September 2006 in Berlin gegründet wurde, aber ich hatte, als ich zum ersten
    Mal in den Medien von den Piraten gehört habe, den Eindruck, daß es sich um
    eine liberale Partei handelt, ohne daß sie sich selbst so bezeichnet hätten.

    War das völlig falsch? Ich glaube nicht, denn auch das Programm würde ich
    nach wie vor als weitgehend liberal einordnen.

    An manchen Stellen wären nach meiner Überzeugung etwas mehr Markt und etwas
    weniger Kollektiv nicht schlecht.

    Wie die Erfahrung zeigt, wird unter liberal nicht immer und von allen das
    Gleiche verstanden. Das ist bei den anderen politischen Weltanschauungen und
    Ideologien nicht anders.

    Es muß also definiert werden – grundsätzlich und im Detail immer wieder aufs
    Neue.

    Im Mittelpunkt steht aber immer die Freiheit, die Freiheit des einzelnen, im
    Sinne von Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Eigenverantwortung. Sie wird
    begleitet von der Forderung nach Gleichheit, nach Rechts- und
    Chancengleichheit, und nach Brüderlichkeit, nach Hilfe zur Selbsthilfe, nach
    Solidarität und Subsidiarität. Hilfsmittel dabei sind Vielfalt, Transparenz,
    Wettbewerb und Teilhabe.

    http://gerstenhoefer.jimdo.com/liberalismus-wie-ich-ihn-sehe/

    http://gerstenhoefer.jimdo.com/liberalismus-wie-ich-ihn-sehe/marktwirtschaft/

    Mir gefällt diese Art der Positionierung, der Abgrenzung deutlich besser als
    die bisherige Form des Ausschlusses, bei dem im Einzelfall beschlossen
    wurde, was nicht mit den Grundwerten, Grundsätzen und Ideen der
    Piratenpartei zu vereinbaren sei.

    In diesem Sinne: Klarmachen zum Ändern!

    Beste und liberale Grüße
    Wolfgang
    liberal – sozial und trotzdem freiheitlich
    Mitglied des Frankfurter Kollegiums – die für Freiheit

    http://gerstenhoefer.jimdo.com/

    http://frankfurterkollegium.de/

  6. Also wenn ich „Sozialliberal“ höre denke ich immer an FDP und Neoliberalismus, denn auch die ganzen Neoliberalen Spacken und Marktextremisten auf Facebook nennen sich „Sozialliberal“.

    Daher kann ich auf so eine Bezeichnung getrost verzichten. Mir ein schleier warum sich die Piratenpartei nicht als „Progressiv“ bezeichnet.

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