Lobo und Morozov: Zu einfach und zu kompliziert
Lobo und Morozov: Zu einfach und zu kompliziert

Lobo und Morozov: Zu einfach und zu kompliziert

Eine Replik von Armin Berger

Für Sascha Lobo ist die Sache enttäuschend, aber einfach: das Internet ist kaputt. Punkt, das war’s. Das nimmt er ganz naiv persönlich. Die Entgegnung von Evgeny Morozov ist dagegen von der gewohnten Komplexität. Recht hat er, aber wen erreicht er damit?

Das Internet ist zu wichtig, um sich weiterhin in den Extremen „einfach“ und „kompliziert“ zu verlieren. Wie wäre es mit klarer Sicht auf die Dinge? Das Internet ist schon lange nicht mehr das, was viele gehofft hatten und teilweise bis heute noch glauben.

Es gibt ein schönes Beispiel dafür, dass das Netz vor vielen Jahren seine Unschuld verloren hat. Kaum einer hat hingesehen, folglich hat auch kaum jemand verstanden, wie leicht es eigentlich ist, sich ein klares Bild zu machen.

Wir gehen zurück ins Jahr 2005: Die erste Internetblase war geplatzt. Es gab kein Geld mehr für Geschäftsmodelle, die künftigen Reichtum versprachen. Die Luft war raus. Doch da geschah das Unfassbare: Rupert Murdoch, der Medienmogul, der das Netz hauptsächlich schlecht redete, kaufte für 580 Millionen Dollar MySpace.

Eine absolute Sensation, die sofort über alle Kanäle verbreitet wurde: Das Internet ist zurück! Aber was hat Murdoch gekauft? MySpace war zwei Jahre zuvor von Thomas Anderson gegründet worden, einem Musikliebhaber, der eine Online-Community einrichten wollte, um sich mit anderen Musikliebhabern auszutauschen. Natürlich wurde – ganz kalifornisch – in der Garage gegründet. In Deutschland musste man gleich wieder mit sich selbst hadern: So was war ja hier gar nicht möglich, weil das Gewerbeaufsichtsamt dann vor der Garagentür stünde.

Das Internet! Die Amerikaner! 580 Millionen! Ein wunderbares Märchen, das heute noch so erzählt wird. Dieses wunderbare Märchen reanimierte weltweit die großen Phantasien und sorgte dafür, dass wieder das große Geld floss.

Die zweite Internetwelle startete, die bis heute anhält. Jetzt war es nicht mehr das Internet 1.0, sondern das Web 2.0, das Mitmachweb: Endlich konnten alle mitmachen!
Zwischenfrage: Wer hat behauptet, das sei etwas Neues gewesen? Egal. Murdoch hatte die nächste Stufe gezündet.

In der MySpace-Community formierte sich Protest gegen die Übernahme durch den bösen Medienmogul. „Murdoch, leave MySpace alone!“ Am Ende hat er sich tatsächlich selbst geschadet und den Traum von Tom Anderson, dem einsamen Musikliebhaber in der Garage, zerstört. Heute spielt MySpace, einst die größte Community im Netz, keine Rolle mehr. Ende der Geschichte. Der Böse ist bestraft. Die Nutzer sind einfach weitergezogen zu Facebook und anderen … Aber Tom Anderson hat wenigstens seine halbe Milliarde.

Zu schön, um wahr zu sein? Richtig: Murdoch hat MySpace nicht gekauft. MySpace wurde nicht von einem einsamen Musikliebhaber gegründet, wahrscheinlich auch nicht in einer Garage, und es ging nie um Musik. Alle Belege sind ohne größeren Aufwand im Netz zu finden.

Murdoch hat MySpace nicht gekauft

Stattdessen hat Murdoch Intermix Media Inc. gekauft. Intermix Media war zu der Zeit eine börsennotierte Aktiengesellschaft (AMX-Symbol: MIX). Entsprechend musste die Übernahme durch Murdochs News Corp. sachlich richtig mitgeteilt werden. Das ist erfolgt und nachlesbar.

Aber wer ist dann Intermix Media? 2006 gab es noch eine Website zur Firma. Dort hieß es: „Intermix Media, Inc. is a leading internet marketing company combining extensive consumer reach, innovative technologies, and superior content to provide advertisers, partners, and affiliates with unique and effective Internet marketing opportunities.“
Intermix Media sammelte Nutzerprofile von vorwiegend jungen Zielgruppen, um sie für die Werbewirtschaft verwertbar zu machen. Laut eigener Aussage haben sie zu diesem Zweck 30 Websites betrieben. Eine davon war MySpace.

MySpace wurde nicht von einem einsamen Musikliebhaber gegründet, auch in keiner Garage

MySpace wurde von Intermix Media gegründet, die zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht mehr in einer Garage hausten. Andere Websites von Intermix waren Big Fat Baby, Bless The Day, Cute Stuf, Netlaughter, Send4Fun, SmilePop, MadBlast, etc.

Interessant ist auch, dass Intermix Media noch im Jahr 2005 in New York angeklagt wurde, gegen den Willen von Millionen von Usern Spyware auf deren Rechnern installiert zu haben, die Pop-up-Werbung anzeigte. Zu der Zeit galt Intermix Media als der größte Verbreiter von Spyware im Internet überhaupt. Die Anklage wurde über einen außergerichtlichen Vergleich beendet.

Es ging nie um Musik

Intermix ging aus dem Unternehmen eUniverse hervor, das 2001 Anteile an Sony verkaufte. Von Anfang an war der Unternehmenszweck das Sammeln von Nutzerdaten, um sie für die Werbewirtschaft nutzbar zu machen. All die Websites, die Spyware, waren das trojanische Pferd, das den eigentlichen Zweck verschleierte.

So macht es Sinn. Wieso sollte der skeptische Rupert Murdoch auch eine halbe Milliarde Dollar in eine schräge Musik-Community investieren? Viel verständlicher ist eine Investition in ein Unternehmen, das die Online-Nutzer endlich zugänglich macht für gezielte Werbebotschaften. Der Begriff Targeting, der bis heute die große Hoffnung der Werbeindustrie ist, wenn es um treffsichere Übermittlung ihrer Botschaften geht, war schon damals ein Thema auf der Homepage von Intermix.

So wird aus einem Märchen eine reale Geschichte.

Der Urknall des Mitmach-Webs, der Aufstieg von MySpace brachte uns viele schöne Märchen. Aber wir sollten aufhören, sie zu glauben. Niemand hätte Milliarden in die verschiedenen Angebote investiert, wenn nicht Konzepte und Technologien von Firmen wie Intermix gigantische Gewinne versprochen hätten. Unser schöner Spielplatz war schon vor fast 10 Jahren alles andere als unschuldig. Es ging um Verwertung, die Beobachtung von Verhalten, die Auflösung der Privatsphäre.

Um das zu begreifen, hätten wir Edward Snowden nicht gebraucht. Snowden erzählt uns nur, dass Staat und Unternehmen auf gleiche Weise überwachen. Naivität ist vor diesem Hintergrund keine gute Idee. Erst einmal klar sehen, was wirklich läuft! Dann mit Morozov über Gegenmaßnahmen nachdenken. Das Internet ist wirklich zu wichtig, um es einfach den Stärksten zu überlassen.

Mit freundlicher Genehmigung von Carta – ein Autoren-Blog für Politik, Medien und Ökonomie.

Ein Kommentar

  1. Ich kann den Thesen von Armin Berger nur zustimmen. Gutgläubigkeit war nie ein guter Ratgeber, wenn es darum geht, die Motivation von Großkonzernen und Regierungen weltweit zu bewerten. Und genau das ist passiert und passiert bis heute: Wir haben uns einlullen lassen. Internetkonzerne versprechen uns ein besseres Leben mit kostenlosen Diensten und schicken Geräten, Regierungen versprechen uns Sicherheit. Nur so konnte eine gigantische Überwachungsinfrastruktur entstehen, die das Potenzial hat, eine freiheitliche Demokratie in eine totalitäre Gesellschaft zu verwandeln.

    Diesen gefährlichen Zusammenhang (Targeting = Überwachung) hat auch der amerikanische IT-Sicherheitsexperte Bruce Schneier in einem aktuellen Interview auf Spiegel Online unmissverständlich betont und uns eine Handlungsempfehlung mit auf den Weg gegeben, die uns zeigt, wie abhängig wir bereits geworden sind:

    „Überwachung ist das Geschäftsmodell des Internets, und die meisten
    Fähigkeiten der NSA beruhen auf den Datensammlungen der
    Internet-Unternehmen. Google weiß mehr über meine Interessen als selbst
    meine intimsten Freunde und Verwandten. Wenn wir nicht wollen, dass die
    NSA und andere Regierungen diese Informationen als Kopie bekommen,
    müssen wir uns zuerst von Google und all den Firmen abwenden, die solche
    Daten sammeln.“

    Spiegel Online (21.01.2014)

    Digitale Abhängigkeit ist das Gegenteil von Freiheit. Wir sollten zumindest damit anfangen, uns auf die Suche nach Alternativen in Wirtschaft und Politik zu machen. Das sind wir kommenden Generationen schuldig.

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