19. Peira-Matinée:  Europa steht am Scheideweg – Europa muss umgestülpt werden
19. Peira-Matinée: Europa steht am Scheideweg – Europa muss umgestülpt werden

19. Peira-Matinée: Europa steht am Scheideweg – Europa muss umgestülpt werden

Ein Gespräch mit Dr. Ulrike Guérot und Rainer Thiem am 13. Dezember 2015 im Cum Laude, Humboldt-Universität zu Berlin

Europa schaut spätestens seit der Finanz-, Ukraine-, Griechenland- und nun auch noch Flüchtlingskrise in einen immer tiefer werdenden Abgrund. Ein solidarisches Europa der Gleichheit und Demokratie rückt immer weiter in die Ferne. Ein Ende des vereinigten Europas mit gravierenden Erschütterungen des wirtschaftlichen und politischen Gleichgewichts des gesamten Westens, scheint nicht mehr ausgeschlossen. Es zeigt sich immer mehr, dass die Entscheidung über die weitere Entwicklung Europas nicht alleine den europäischen Regierungschefs überlassen bleiben darf. Die Zivilgesellschaften in den europäischen Ländern müssen sich stärker als in der Vergangenheit einbringen in die Diskussion für ein neues Europa, ein Europa, das die nationalen Egoismen überwindet.
„Europa muss umgestülpt werden“, sagt unser Gast, Ulrike Guérot, „das ist der – friedliche – revolutionäre Akt Europas im 21. Jahrhundert: Politische Gleichheit würde bedeuten, dass die europäischen Bürger gleich sind bei europäischen Wahlen, bei den bürgerlichen Steuern und bei ihrem Zugang zu sozialen Rechten – genau das wäre eine Europäische Republik! Das kann selbstverständlich nicht über Nacht, nicht einmal in wenigen Jahren passieren. Aber es kann als politisches Ziel formuliert werden, damit das europäische Projekt wieder einen Fingerzeig in Richtung Zukunft sieht.“

Matinéebezogenes Literaturverzeichnis:

  1. Rodrik, Dani: Das Globalisierungs-Paradox – Die Demokratie und die Zukunft der Weltwirtschaft, C.H.Beck, 2011
  2. Wittgenstein, Ludwig: Aphorismen: Satz 4.116; „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“
  3. Müller, Jan-Werner: Anläufe zu einer politischen Theorie des Populismus, Transit, Heft 44, 62-71, Institut für die Wissenschaft von Menschen, 2013
  4. Michéa, Jean-Claude: Das Reich des kleineren Übels – Über die liberale Gesellschaft, Matthes & Seitz Berlin, 2014
  5. Wüllenweber, Walther: Die Asozialen – Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren – und wer davon profitiert, Sarrazin Verlag DVA, 2012
  6. Herrmann, Ulrike: Hurra, wir dürfen zahlen: Der Selbstbetrug der Mittelschicht, Westendverlag, 2010

Ein Kommentar

  1. Jetzt hatte ich endlich den Europabeitrag, der Peira Matinee, gesehen.
    Eineinhalb Mal sogar: der ist sehr gut gelungen!
    Schöne neue Perspektiven, sehr ausführlich & klar artikuliert.

    Dann lass uns den alten, angeschlagenen Europa-Luxusliner* mal schnell zur Wartung & Umbau (-der Geschäftsbedingungen**) auf die Werft rufen: die Klassen raus und eine vernünftige (IT-)Struktur rein.

    Zu „Mentalitäten verstehen (beim EU-Ideen vermitteln), damit Zivilgesellschaft eine Stimme bekommt“: „Humane Basics“ müssen primär gesichert sein:
    -Gewalt nur „vom Staat“ aus
    -Basisrechtssystem
    -Basiseinkommen
    -Basisbildungssystem
    -Basiswohnung
    das wird bei den Menschen ankommen und sollte ausreichen.

    Kann man auf ‚alle‘ Mentalitäten eingehen? Ein Freund meinte auch Ähnliches: unterschiedliche Hintergründe/Kulturen etc. berücksichtigen. Ich denke nein, das spaltet und dauert zu lange. Es reicht, Menschen zunächst auf einer grundsätzlichen (Basis-)Ebene gleiche Voraussetzungen/Qualitäten zu bieten, humanbiologisch und psychologisch orientiert. So geht Lernen. Überzeugen ist schwerer. Die „Basismentalität“ ist gleich: das Streben nach Dach, Kühlschrank, Familie, freier Meinungsäußerung, Schutz, … das ist nicht verhandelbar. Wer das nicht versteht, kann nicht mitmachen.

    Es muss Geld besser verteilt werden, „die Schere(n)“ zugedrückt werden, damit Wähler „sauber denken“ kann und es dürfen keinesfalls (sogar künstlich, vorsätzlich) Notzeiten generiert werden***. Einkommen, sprich: Material, Technik & Know-how ist da.

    Ein Europa der Regionen finde ich gut und auch eine Art globales „Headquarter“ – von der Republik Freies Wendland zur Erd-Republik. Damit Bürgerstimmen mehr Gewicht erhalten. Nationalstaaten raus ist klar: die gibts eh erst seit 100-200 Jahren und die haben sich nicht- oder mit fragwürdigem Ruhm bekleckert und sind eine stete Gefahrenquelle.

    Was mir sehr fehlt ist die analytischere Berichterstattung der stimmungsmachenden „Hauptmedien“ – z.B. die „mit den großen Buchstaben“. Insbesondere wünscht ich mir von „der Presse“, Differenzen zur EU-Utopie hervorzuheben****: kommentarlose werden nationalistische Äußerungen als headline publiziert (neulich, am 4.1.16 in den 3 Top-headlines der WELT: nur separatistische Stimmen aus Polen und Tschechien). Man sieht auch an der Kürze: Journalisten arbeiten hier nicht frei, sondern prekär. Durch Auswahl und Darstellung der Meldungen wird Europa fast systematisch „zerschossen“. In manchen Ausgaben finde ich keinen Pro-EU Beitrag*****. Und je perspektivloser der Leser, desto genüsslicher verstümmelt er sich mit diesen Meldungen selbst. (Das ist wohl eine biologische Eigenart anspruchsvollerer Tiere bei Käfighaltung: Zähne am Gitter zerstören, in den Schwanz beißen: Hospitalismus, Bestätigungssuche… – fällt mir grad ein … auch die Presse verstümmelt sich selbst.)

    Wenn ich reise, reise ich durch Regionen, durch Tirol oder die Bretagne und nicht durch Staaten. Die nehme ich als notwendiges Übel war.

    Ich bin gespannt auf weitere Matinee-Themen,
    Grüße,
    Werg

    * wobei ich dieses Europa == Schiff Bild nicht gut finde

    ** und damit wie üblich das Recht für bisherige Mitglieder auch auszutreten …

    *** Hartz-4-Gespenst. Die schwarze Null. Das ist höchst unprofessionell und engstirnig. Das spiegelt auch die Verhältnisse und das Menschenbild der Planer selbst wieder.

    **** Grad im Osten wird die Presse ja jetzt aus ähnlichem Grund reglementiert (aber: Regierung muss sich für Presse & Bürger attraktiv machen u. darf sich nicht aufzwingen). Ist es hier nicht auch „wieder“ die prekär verschlafene „Linke“, die nicht genug tut, nicht geschickt genug ist? Oder: „Die Kapitalisten“ sind schneller, weil sie schönere Wohnungen haben und besser essen (alter Spruch). Ich glaube, der Kapitalist ist neurotisch & feige und schlägt daher schneller zu. Es sind Angsthasen & umsatzorientierte Possenreißer, die Halbes veröffentlichen, aus Angst ihren Job zu verlieren. Es sind auch allgemein die im Umbruch befindlichen Medien (Druck zu Internet) und eine unzureichende Internet- und Medienkompetenz.

    ***** EU-Themen sind heute langweilig. Es existiert weder ein richtiges EU-PR-Konzept noch ein Bürgerinteresse.

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