Ein Plädoyer für die Gemeinwohl-Ökonomie
Ein Plädoyer für die Gemeinwohl-Ökonomie

Ein Plädoyer für die Gemeinwohl-Ökonomie

Ein Gastbeitrag von Heiko Schröder, PhD

Am Vorabend des Systemwechsels

Es gibt so vieles, was sich in unserer Welt, die mehr Verlierer als Gewinner kennt und kurz vor dem Kollaps steht, ändern sollte. Es gibt Ungerechtigkeiten, bei denen kleine aber starke Gruppen ein Interesse daran haben, sie aufrechtzuhalten. Es gibt aber auch eine große Mehrheit in fast allen Bevölkerungsgruppen, die laut Umfragen in mehreren Staaten der Meinung sind, dass die kapitalistische Wirtschaftsordnung dem Planeten und der Gesellschaft als ganzer nicht dient.

Es will sich etwas bewegen – aber in welche Richtung? Kommt dieser Systemwechsel, wie vorangegangene durch Revolution und Krieg? Oder setzt sich eine intelligente Politik durch, die das soziale Elend vieler Menschen beendet, die Klimakatastrophe abwendet und eine Kooperation der Staaten herbeiführt, um riesige Zerstörungen und Rückschritte zu verhindern?

Die entscheidende Frage ist, wie unsere Gesellschaft umgebaut werden kann, so dass wir, um ein höheres Lebensziel (Maslowsche Bedürfnispyramide) zu erreichen, freiwillig Konsum aufgeben und Staaten kollaborieren statt zu konkurrieren und Kriege zu führen. Dazu müssten sich insbesondere unsere Wertmaßstäbe verändern. Die Gemeinwohl-Ökonomie könnte eine Blaupause für den Umbau der Gesellschaft sein.

Motto und Maßstäbe der Gemeinwohl-Ökonomie

Die Gemeinwohl-Ökonomie etabliert ein ethisches Wirtschaftsmodell.
Das Wohl von Mensch und Umwelt wird zum obersten Ziel des Wirtschaftens.

Christian Felber, Buchautor, Dozent und Initiator der Gemeinwohl-Ökonomie zeigt in seinem Buch Change Everything auf, wie dieser Systemwechsel geschehen kann: Die Gesellschaft belohnt nicht mehr diejenigen, die viel besitzen, sondern diejenigen, die zum Erhalt der Umwelt beitragen. Er schlägt vor, dass Steuersätze der Firmen unter anderem davon abhängen, wie umweltfreundlich ihre Produktion und ihre Produkte sind und ebenso hängen sie davon ab, wie groß die Gehaltsunterschiede sind und wieviel Mitbestimmung es in der Firma gibt. Solche neuen Maßstäbe der Bewertung von Firmen würden auch die Maßstäbe, die die Bürger untereinander anwenden positiv beeinflussen. Dann wird es vielleicht nicht mehr so erstrebenswert erscheinen, derjenige zu sein, der das teuerste Auto fährt, sondern derjenige, der eine Solaranlage installiert hat und Fahrrad fährt. Dann werden helfende Berufe, in der Schule und im Krankenhaus besser bezahlt und auch die Rolle derjenigen, die sich um die Haushaltsführung und die Erziehung der Kinder kümmern, erhält einen anderen Wert.

Das Kommunikationsmittel zur Herbeiführung des Systemwechsels

Anders als im letzten Jahrhundert hat die Menschheit bei der Vorbereitung des gewaltlosen Umschwungs mit dem Internet ein ultimatives Kommunikationsmittel zur Verfügung, das in seiner Wirksamkeit keine Grenzen kennt.

Eine neue Idee kann sich deshalb sehr schnell über den Erdball ausbreiten und wenn sie überzeugend ist, ist sie unumkehrbar plötzlich in den Köpfen aller. Das ist in etwa so wie Popcorn sich verhält, wenn es über 167 Grad erhitzt wird – alle Körner explodieren etwa gleichzeitig und der Prozess ist unumkehrbar.

So etwa hat sich die Einführung der Laptops und der mobilen Telefone, genauso wie die Ausbreitung von Email, Google und Facebook ereignet – ganz schnell und unumkehrbar. Das könnte genauso mit mit neuen gesellschaftlichen Bewegungen sein – es muss dazu der Tipping-Point (Malcolm Gladwell) erreicht werden. Dabei gilt das Gesetz der Wenigen.  Es sind die wenigen, die besonderen Einfluss in der Gesellschaft haben, die sich für die Verbreitung der Botschaft einsetzen. Es ist wichtig, dass die Botschaft haften bleibt .Sobald der Tipping-Point erreicht ist, verbreitet sich die Botschaft explosionsartig und unumkehrbar, wie in dem Topf das Popcorn plötzlich aufplatzt. Es hätte ja auch die Piratenpartei oder vielleicht auch eine Vereinigung der Linken schaffen können, den Tipping-Point in Deutschland zu überschreiten. Es könnte ein Ereignis irgendwo auf der Welt geben, dass zu Demonstrationen führt und aus der dann eine große Bewegung wird – das könnte auch noch aus der von Greta Thunberg gestarteten Klima-Bewegung entstehen. Es kann plötzlich passieren und ist nicht vorhersehbar. Es drängt sich der Vergleich mit einer instabilen Wetterlage auf, es ist schwül, es könnte Gewitter geben, aber genau wann und wo kann man nicht vorhersagen – so erklärt es uns die Chaostheorie. Und es könnte auch aus den Ideen, die Christian Felber seit geraumer Zeit verbreitet, entstehen. Für Felber „grassieren Gier, Geiz, Neid, Rücksichtslosigkeit und Verantwortungslosigkeit nicht etwa deshalb, weil dies der Menschennatur entspräche, sondern weil es aktuell von den Märkten belohnt wird.“ Intelligent designte Märkte, so Felber, „belohnen dagegen menschliche Tugenden und Beziehungswerte wie Ehrlichkeit,  Respekt, Vertrauensbildung, Kooperation und Teilen.“ Ganz neue Ansätze in denen Firmen keinen Chef mehr haben oder Betriebe, in denen alle das gleiche Gehalt bekommen deuten darauf hin, dass in dieser Richtung noch riesige Schritte möglich sind. Aber solche Schritte scheinen eher evolutionären Charakter zu haben und damit langsam zu sein, wenn sie nicht durch Gesetze unterstützt oder gar erzwungen werden.

Statt Wettkampf und Streit Kollaboration und Hilfsbereitschaft

Wenn wir eine humanere Gesellschaft entwickeln wollen, müssen an die Stelle von Wettkampf und Streit Kollaboration und Hilfsbereitschaft treten. Dazu brauchen wir viele neue Meme. Es sollten auf jeder Ebene (auch in der Familie für die Kinder) Hierarchien abgebaut werden. „Everybody is a leader“ sollte Realität werden. Der Sport, dessen Muster uns und unsere Kinder prägen, basiert fast ausschließlich auf Wettkampf. Im Teamsport gibt es zwar auch Kollaboration – aber es gibt auch immer einen Gegner. In den Firmen herrscht oft der Wettstreit und selbst auf dem Betriebsfest gibt es oft einen Wettstreit. Die Medien sind voll von Aggression und die Mehrzahl der Spiele, die wir unseren Kindern anbieten bestehen aus Kämpfen, Kämpfe gegeneinander. Miteinander geht recht wenig, obwohl unsere Gesellschaft als Ganze nur durch das Miteinander funktioniert. Alle Technologien erfordern das Miteinander – niemand kann alleine ein Auto, ein Haus, eine Uhr, einen Computer bauen. Es wäre also angemessen Sportarten oder andere gemeinsame Aktivitäten zu entwickeln, bei denen etwas gemeinsam geschaffen wird.

In der Schule gibt es Zensuren. Am Arbeitsplatz gibt es regelmäßige Beurteilungen. Im Fernsehen werden die besten Sportler, die besten Sänger, die schönsten Frauen gezeigt oder auch kreiert. Es ist wichtig der erste, der beste, die schönste zu sein oder der, der am meisten weiß, am schnellsten rechnet, am schnellsten läuft. Vergleichende Bewertung ist in unserer Gesellschaft tief verankert, sie ist Teil unseres Schulsystems und sicher auch nicht vollständig vermeidbar. Immer, wenn Entscheidungen getroffen werden, werden die Alternativen vergleichend bewertet. Aber diese Vergleichende Bewertung kann in sehr vielen Situationen vollständig vermieden werden. Dies wird in dem Buch „Liebe und Eigenständigkeit“ von Alfie Kohn ausführlich dargestellt.

Kleine Kinder bemühen sich aus sich selbst heraus, etwas zu leisten, sie wollen laufen lernen und sprechen lernen – aber das tun sie nicht im Wettkampf mit anderen. Sie üben, imitieren und versuchen immer wieder, und wenn sie etwas geschafft haben, freuen sie sich – über sich selbst. Sie brauchen für ihre Erfolge nicht die Niederlage anderer. Auch am Erfolg anderer können sie sich erfreuen. An unseren Lernerfolgen und denen unserer Kinder haben sicher die Spiegelneuronen einen großen Anteil. Spiegelneuronen helfen uns, das Verhalten anderer intuitiv nachzuahmen und Emotionen anderer nachzuempfinden. Sie sind wesentlicher Bestandteil unserer Empathie.

Lernerfolge zu verbreiten kann heute durchs Internet sehr schnell geschehen – so können auch schnell neue Meme entstehen. Vielleicht reicht es schon öfters in den Medien zu sehen, wie sich Menschen umarmen und dabei offensichtlich wohl fühlen, wie sie einander intensiv zuhören und sich dabei emotional nahe sind, und unsere Spiegelneuronen helfen uns Umarmen und gutes Zuhören selbst auszuprobieren. Wenn es sich gut anfühlt, kann sich das Mem verstärkt durchzusetzen, weil wir es öfters praktizieren und andere es sehen und von den Spiegelneuronen gedrängt werden, es selbst zu versuchen.

Wir brauchen viele neue Meme

Meme sind Ausdruck des emotionalen Klimas einer Gesellschaft, sie bestimmen das Klima und werden auch durch das Klima der Gesellschaft geformt. Dazu gehört der Muttertag, Valentinstag, das islamische Opferfest, der Geburtstag, Hochzeitsfeier, Beerdigung und Weihnachten etc. genauso wie die Sitte, sich die Hand zu geben und sich das „Du“ anzubieten. All diese Verhaltensmuster sind schon gut etabliert und von den meisten akzeptiert. Sie sorgen dafür, dass wir alle uns gut fühlen.

Viele andere verbindende Aktivitäten könnten noch zu Memen werden, sie müssten auf breiterer Basis akzeptiert werden. Das wären zum Beispiel Verhaltensmuster die Nächstenliebe oder sogar Fernsten Liebe ausdrücken – dafür gibt es endlos viele Beispiele, aber sie sind noch keine Sitten oder Meme, es sind Verhaltensweisen, die besondere Beachtung erlangen und gelobt werden, weil sie nicht selbstverständlich, sondern eher selten sind. Eine befreundete Familie hat es sich zur Angewohnheit gemacht, sich vor und nach jeder gemeinsamen Aktion zu umarmen. Sollten wir uns viel öfter gegenseitig einladen? Wie wäre es mit Besuchsrecht ohne Einladung? Wie sollten wir Gäste bewirten und Fremden helfen? Sollten wir unseren Wohnraum mit Fremden teilen, unseren Nachbarn beim Renovieren helfen, unser Auto teilen, Mitfahrgelegenheit anbieten, sich für die Beseitigung der Armut engagieren. Solche und viele andere Verhaltensweisen, die Menschen zusammenbringen, müssten und können noch selbstverständlicher werden. Sie sollten zu Memen werden, die dazu beitragen, dass Menschen sich besser kennenlernen, und helfen unser Bedürfnis nach Gerechtigkeit zu stillen.

Ich möchte obige Meme Gerechtigkeits-Meme nennen. Ich vermute, dass sobald sich genug solcher Meme etabliert haben, der Punkt erreicht wird, dass wir unsere Gesellschaft als gerecht empfinden, als ein Gut, das wert ist, sich dafür einzusetzen. Solche Gerechtigkeits-Meme tragen dazu bei, dass wir unser Leben als sinnvoll erleben und uns selbst verwirklichen, sie befriedigen unsere Bedürfnisse auf der höchsten Stufe der Maslowschen Bedürfnispyramide. Diese Selbstverwirklichung muss keineswegs nur darin bestehen anderen zu helfen, sie kann zum Beispiel auch in kreativen Aktivitäten bestehen. Viktor Frankl führt dies in seinem Buch „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ aus. Wir wollen unserem Leben einen Sinn geben und dieser scheint meist in einem Beitrag zur Gesellschaft zu liegen.

Zentral ist für die meisten Menschen der Begriff der Moral, nämlich sich so zu verhalten wie es die meisten Menschen richtig und gut finden. Wir haben das Bedürfnis, von der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Moral ist das Gewissen der Gesellschaft. Offensichtlich ist Moral wandelbar. Der Ehrenmord und die Steuerhinterziehung sind Beispiele, die deutlich machen, dass Moral von der Gesellschaft abhängt und sich ändern kann. Die islamische Sitte einen Teil ihres Vermögens den Armen zu geben, ebenso wie die deutsche Kirchensteuer und unsere Spenden können sich in ihrer Höhe deutlich vershieben. Die Höhe dieser Beträge, genauso wie die Energie, die wir in die Hilfe anderer stecken, empfinden wir als angemessen, sobald es von den meisten Menschen genauso gehandhabt wird. Es ist also moralisch richtig, wenn die Mehrheit es so sieht, absolute Maßstäbe scheint es nicht zu geben. Zum Festlegen solcher moralischen Maßstäbe könnte man den Utilitarismus  und das Konsensieren verwenden. Beim Utilitarismus werde die Summe und Schwere der Nachteile gegen die Summe der Vorteile aufgewogen und das Konsensieren ist ein von „Konsens“ abgeleitetes Kunstwort. Es bezeichnet den Prozess bei der eine Gruppe aus einer Reihe von Lösungsvorschlägen denjenigen ermittelt, der von allen Gruppenmitgliedern am wenigsten abgelehnt wird.

Die Gemeinwohl Ökonomie führt zu mehr Gewinnern als Verlierern

Christian Felber nutzt Konsensieren bei öffentlichen Vorträgen oft dazu, herauszufinden, wie groß Gehaltsunterschiede in den Gesellschaften sein dürfen, um noch als gerecht empfunden zu werden. Meist ist das Ergebnis, dass die Mehrheit der Befragten sich wohl fühlt sobald niemand mehr als 10 mal so viel verdient wie die Geringverdiener in der Gesellschaft, wobei der Niedriglohn bei etwa 1500 Euro netto pro Person und pro Monat liegt. Wenn Maximalgehalt irgendwann akzeptiert und für einige Zeit durchgesetzt wird, könnte bei erneuter Abstimmung der Faktor 10 vielleicht durch einen anderen ersetzt werden. – ich kann mir vorstellen, dass dieser Faktor noch etwas kleiner würde. Verglichen mit der jetzigen Realität müsste dieser Faktor so sehr sinken, dass Menschen sich weder einen Ferrari noch eine Luxusjacht leisten könnten, große Villen müssten geteilt werden und einige Hersteller von Luxusartikeln würden ihre Produktion wohl erheblich umstellen müssen. Aber es ist fraglich, ob es negativen Einfluss auf die Zufriedenheit vieler hätte, es wäre auf jeden Fall zu erwarten, dass unter Utilitaristischen Maßstäben die Situation erheblich verbessert würde – es gäbe viel mehr Gewinner als Verlierer. Wenn Konsensieren und Utilitarismus  in allen politischen Entscheidungen angewandt würden, sollte das automatisch zum Gemeinwohl und zur Gemeinwohl-Ökonomie führen.

3 Kommentare

  1. Ruth

    Es ist spannend….na, sagen wir mal interessant zu lesen, dieses Essay. Es sind so viele verschiedene Aspekte miteinander verwoben : psychologische, soziologische,ökonomische usw. , die würde ich gerne mal ….wenn mein Drucker wieder funktioniert ….auseinander dividieren. Es ist z.B. so eine sache, wenn menschl. Reaktionsmuster, oder deren Veränderungsprozesse mit der Wetterlage, oder der Entstehung von Popcorn in Verbindung gebracht werden, wo es hier doch einen klaren und damit berechenbaren physikalischen
    Hintergrund gibt. Der Mensch ist …eben nur bedingt berechbar …oder ? Das soll aber alles nicht davon ablenken, dass mir deine Gedankenansätze gut gefallen, mich interessieren und noch eine Weile beschäftigen werden…wenn mein Drucker wieder…usw.
    Sehr anrührend geradezu fand ich den Satz mit den Spiegelneuronen, dass sie uns…vielleicht zu Umarmungen ( und anderen Wohltaten )
    verhelfen, bzw. uns glücklich dazu verleiten. Der hat mich sehr nachdenklich gemacht…das kann ich hier aber alles gar nicht schreiben. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, von dir zu hören und schicke liebe Grüße über das große Wasser. Ruth

  2. Bernd Engelking

    Innerhalb des Kapitalismus ist dieses Konzept eine sehr nette Idee. Das ist es dann auch schon. Wer sich nicht mit den Ursachen des Kapitalismus beschäftigt, wird mit diesem Konzept aber nicht erfolgreich sein. Denn es gibt Zwänge, denen niemand, auch nicht der einzelne Bürger, entkommen kann.
    Christian Felber weiß das natürlich. Wer eine Lobrede auf sein Konzept halten will, sollte das auch wissen.
    Es gibt keinen guten, nachhaltigen, menschlichen Kapitalismus. Im Kapitalismus kann man nicht etwas anderes als das Kapital in den Mittelpunkt stellen. Und allen Unternehmen, die sich daran beteiligen, nehmen Wettbewerbsnachteile in Kauf, dass kann man nicht ignorieren. Man kann in seiner Glaskugel eine Zeit mit gutem Gewissen leben, aber die Welt retten kann man damit nicht.

  3. Richard Koch

    Die Ausführungen von Heiko zu einem Systemwechsel durch Gemeinwohl Ökonomie haben mich zu einigen allgemeineren Anmerkungen angeregt:

    Wandlungsprozesse von gesellschaftlich relevanten Verhaltensdimensionen sind offensichtlich eher komplex und langwierig, denn oft kulturell tief verwurzelt. Zudem scheint es Verhaltensmuster zu geben, die nicht nur normativ erwünschtes Verhalten erschweren, sondern Konflikte bis hin zu Kriegen befördern können. Neid oder das Streben nach „Mehr“, vor allem in materieller Hinsicht, hat es in der Menschheitsgeschichte immer gegeben. Im Unterschied zu Felber würde ich darin deshalb nicht (nur) die Effekte falscher Verhaltensanreize durch den Kapitalismus sehen. Hier gibt es ein „Henne-Ei- Problem“: Solche Verhaltensweise haben die Entstehung und Ausbreitung des Kapitalismus in die verschiedensten Weltregionen und Kulturkreise befördert und werden durch diesen gleichzeitig stabilisiert.

    Mit dem „Siegeszug“ des Kapitalismus waren und sind allerdings die unterschiedlichsten und nicht ausschließlich negative gesellschaftlichen Auswirkungen zu beobachten. Diese reichen von der Ausbeutung von Mensch und Natur bis hin zur Reduzierung der Armut von breiten Bevölkerungsschichten etwa in Indien oder China. Und nicht alle Verhaltensdimensionen, die im Kapitalismus belohnt werden sind per se schlecht, ebensowenig der Leistungs- und Wettbewerbsgedanke. Da würde ich Heiko widersprechen.

    Der Kapitalismus hat sich nicht nur als zäh, sondern auch als erstaunlich wandlungs- und anpassungsfähig an die unterschiedlichsten Bedingungungen erwiesen. Nimmt man realistischerweise Abschied von der Vorstellung den Kapitalismus „überwinden“ zu können, stellt sich die Frage, wie man die inzwischen globalisierte kapitalistische Wirtschaftsordnung so weiterentwickeln könnte, dass die Ausbeutung von Mensch und Natur und materiell begründete Konflikte, die zu Kriegen führen können, zurückgedrängt werden.

    Dabei kann und sollte man sicherlich auf der individuellen und zwischenmenschlichen Ebene anfangen. Wenn sich z.B. umweltschonende Verhaltensweisen als allgemein akzeptierte Norm in einer Gesellschaft etablieren würden, würde das positive Auswirkungen auf unsere Umwelt haben. Oder wenn Spenden für gemeinwohlorientierte Zwecke für jeden, der dies leisten kann, zur Selbstverständlichkeit würden, könnte die Welt gerechter gemacht werden.

    Die Alltagsbeobachtung schon im eigenen Umfeld lehrt allerdings, dass etwa der freiwillige Verzicht (z. B. auf Flugreisen oder das eigene Auto) zur Förderung höherer Werte (z.B. Umwelt) nicht einfach zu erreichbar ist. Hier bedarf es offensichtlich langwieriger Bildungs-, Erziehungs- Erkenntnis- und Bewusstseinsprozesse. Es ist allerdings fraglich, dass man dadurch alle Menschen selbst in einem Land wie Deutschland erreichen kann. Ergänzend sind sicherlich verhaltenssteuerende materielle „Anreize“ notwendig. Wenn z.B. Flugreisen oder Benzin teurer werden, wird sicherlich auch weniger geflogen bzw. gefahren. Deshalb wird in Heiko’s Papier richtigerweise gesagt:“….Aber solche Schritte scheinen eher evolutionären Charakter zu haben und damit langsam zu sein, wenn sie nicht durch Gesetze unterstützt oder gar erzwungen werden.“

    An dieser Stelle kommt die Politik ins Spiel und damit wird es bekanntlich kompliziert und mühsam, zumindest in demokratisch regierten Staaten. Die Politik kann prinzipiell durch Setzung entsprechender Rahmenbedingungen dazu beitragen, dass gemeinwohlschädliche Handlungen negativ sanktioniert werden. Dazu bedarf es aber jeweils politischer Mehrheiten, zumindest in einem demokratischen Staat. (China geht bekanntlich einen stärker autoritären Weg (Social Scoring), um seine Bürger zu einem Verhalten zu veranlassen, das für die Parteiführung als erwünscht gilt.)

    In demokratischen Gesellschaften ist die Bewusstseinsbildung der Bevölkerung von zentraler Bedeutung, um die Politik zu einer stärker gemeinwohlorientierten politischen Steuerung zu drängen bzw. zu zwingen. Allerdings wäre durchzudeklinieren, was an politischem Handeln auf internationaler Ebene hinzukommen muss, um das Sanktionssystem und die Effekte der kapitalistischen Wirtschaftsordnung stärker gemeinwohlorientiert auszurichten.

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