Eine überfällige Begnadigung
Eine überfällige Begnadigung

Eine überfällige Begnadigung

Ein Gastbeitrag von Annegret Falter

Gestern hat der aus dem Amt scheidende amerikanische Präsident Obama Chelsea Manning begnadigt. Nach sieben Jahren in Haft, zeitweise unter Folter-ähnlichen Bedingungen, kann sie das Gefängnis am 17. Mai als freier Mensch verlassen. Im August 2013 war sie nach einem in wesentlichen Teilen geheim geführten Militärgerichtsprozess zu 35 Jahren Haft verurteilt worden. Als Soldat Bradley Manning hatte sie während ihrer Stationierung im Irak-Krieg 700.000 teilweise geheime Dokumente an WikiLeaks gegeben, wo sie in den Jahren 2010/2011 veröffentlicht wurden: die „Afghan War Diaries“; die „Iraq War Logs“; „US Diplomatic Cables“; Guantanamo Bay Files. Manning wollte die Welt über die Realität der Kriege im Irak und in Afghanistan aufklären.

Manning ist der erste Whistleblower, der wegen Verstoßes gegen das amerikanische Spionage-Gesetz aus dem 1.Weltkrieg nicht nur angeklagt, sondern auch verurteilt wurde. Dieses Gesetz öffnet der US-Regierung Tür und Tor, Whistleblower und unliebsame investigative Journalisten mundtot zu machen. Weder spielen die Motive eines Whistleblowers vor Gericht eine Rolle noch ist der Nachweis eines Schadens erforderlich. Schon im Verfahren um Daniel Ellsbergs Veröffentlichung der „Pentagon Papers“ wurde eine Verfassungsklage gegen die Anwendung dieses Konstrukts auf Whistleblower in Erwägung gezogen.

Eine Analyse von Mannings Militärgerichtsprozesses befindet sich hier (PDF).

Das Gesetz wurde während Obamas Regierungszeit bisher acht Mal für dubiose Anklagen gegen Whistleblower in der Sicherheitspolitik verwendet. Mehr als von allen Vorgänger-Administrationen zusammen.

Chelsea Manning ist nicht der einzige Whistleblower, an dem der amerikanische Staat demonstriert hat, wozu er fähig ist, um sein Geheimhaltungsinteresse durchzusetzen. Aber sie war lange Zeit die prominenteste. Vom Tag ihrer Festnahme an wurde an ihr ein Exempel statuiert und dazu alle Möglichkeiten der Strafverfolgung und Justiz ausgeschöpft, soweit sie rechtsstaatlich eben noch zulässig waren. Manchmal waren sie es auch nicht.

Damals schrieb Graham Nash ihr ein Lied:

Locked up in a white room, underneath a glaring light
Every 5 minutes, they’re asking me if I’m alright
Locked up in a white room naked as the day I was born
24 bright light, 24 all alone…

Chelsea Manning erhielt 2011 den deutschen Whistleblowerpreis dafür, dass sie das Material zu dem unter dem Namen „Collateral Murder“ bekannt gewordenen Video (http://collateralmurder.com) 2010 an WikiLeaks gegeben und damit der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Es zeigt, wie Soldaten einer amerikanischen Hubschrauberbesatzung im Irak bedenkenlos ein Dutzend Zivilisten erschießen.

Das Video spielte in der Öffentlichkeit und in der Friedensbewegung eine eminente Rolle. Es wurde geradezu zu einem Sinnbild für die Grausamkeiten eines völkerrechtswidrigen Krieges. Immer wieder wurde es weltweit, auch in den USA, im Internet und in den Medien zitiert und ganz oder ausschnittsweise gezeigt – besonders häufig im Kontext der Berichterstattung zu Mannings Militärgerichtsverfahren.

Manch ein Betrachter hat wohl die Verrohung im Denken, Reden und Handeln der Hubschrauberbesatzung zuvor nicht für möglich gehalten. Viele Menschen mögen die politischen Akteure und ihre Kriege nach diesen Szenen mit anderen Augen gesehen und sich gefragt haben, welche Verbrechen in ihrem Namen sonst noch vor ihnen verheimlicht werden und ob ihr Vertrauen in Regierung und Medien gerechtfertigt ist. Viele werden begriffen haben, wie wichtig Whistleblower für die Aufdeckung der Wahrheit sind.

Dieser Beitrag wurde erstmals veröffentlicht am vom Whistelblower Netzwerk e.V. von Annegret Falter

 

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