Formlos, fristlos, fruchtlos – Strafanzeigen als politisches Werkzeug
Formlos, fristlos, fruchtlos – Strafanzeigen als politisches Werkzeug

Formlos, fristlos, fruchtlos – Strafanzeigen als politisches Werkzeug

Ein Gastbeitrag von Klaus Peukert

Offene Briefe locken niemanden mehr hinterm Ofen hervor und Online-Petitionen sind nach dem Theater um Markus Lanz endgültig der Lächerlichkeit preisgegeben. Wie generiert man nun als (meist außerparlamentarische) Opposition neue Aufmerksamkeitshäppchen? Einfach alles anzeigen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist!

Die Bundeskanzlerin, das Bundeskriminalamt, die NSA, den Papst. Eine Strafanzeige gleichzeitig mit einer alarmistischen Pressemitteilung in die Welt hinauszuschicken ist quasi kein Aufwand und führt im Gegenzug garantiert zu üblicherweise positiver Berichterstattung und einen neuen Schluck aus dem Füllhorn der medialen Aufmerksamkeit. Und die Bankverbindung für Spenden kann man so auch nochmal verteilen. Wie praktisch.

Anfang Februar der aktuelle Höhepunkt dieser Entwicklung mit einer medial laut begleitenden „Klage“ des CCC gegen die Bundesregierung, die am Ende eine zwar umfangreiche, aber fachlich wohl nicht mal so gute Strafanzeige war. Vermutlich erwartet niemand, nichtmal der CCC, ernsthaft, dass sich ein Staatsanwalt hinsetzt, sich das Ding durchliest und sagt „OK. Also jetzt, wo das hier so steht. So hab ich das noch nicht gesehen. Jetzt ist die Regierung aber fällig!“.

Sehen wir der Tatsache ins Auge: Strafanzeigen sind als politisches Mittel ungeeignet. Ein paar Beispiele:

  • Mitglieder der Piratenfraktion NRW stellten Strafanzeige gegen den NRW-Finanzminister. Außer der Berichterstattung über die Anzeuge passierte aber nichts. Ein Ermittlungsverfahren wurde laut der Pressestelle der Fraktion „wie erwartet“ nie eröffnet.
  • Aus dem Landesverband Hessen der Piratenpartei heraus wird Angela Merkel angezeigt. Das Verfahren wird von der StA Darmstadt (Aktenzeichen 1000 Js 33866/13) nach Berlin abgegeben und versandet dort. Die Pressestelle müsste den weiteren Stand „erst beauskunften“
  • Der Bundesverband der Piratenpartei hat beim Bundesrechnungshof Anzeige gegen das Bundeskriminalamt erstattet, weil dieses für den Bundestrojaner Gelder verschwendet hat. Die Pressestelle kann den aktuellen Stand nicht benennen.
  • Das Landesverband Bayern der Piraten stellte Strafanzeige gegen den damaligen bayerischen Innenminister, ein Abgeordneter der Piratenfraktion Schleswig-Holstein zeigte Unbekannt wegen der NSA-Affäre an. Die Status-Anfragen an die Pressestellen vom 2. Februar sind bis heute unbeantwortet.

Samt und sonders verliefen diese Anzeigen offenbar formlos, fristlos, und fruchtlos. Sie zu stellen war politischer Theaterdonner, eitle Gaukeleien ohne die ernsthafte Absicht, das so adressierte Problem einer tatsächlichen Lösung zuzuführen. Nicht mal der Fortgang der Anzeigen wird verfolgt. Strafanzeigen sind das „Comic Sans unter den politischen Methoden„, die „Fire and Forget“-Wunderwaffe der politisch Unzufriedenen dieser Gesellschaft, das Klicktivismus-Werkzeug für diejenigen, denen eine schnöde Petition nicht elitär genug ist.

Man macht sich mit solchen Pressestunts letztlich auf Dauer nicht nur gemein mit den unbalancierteren Bewohnern dieser Welt wie etwa dem Herren, der die Bundeskanzlerin anzeigte, weil die sich erdreistete, einer in ein Video gegossene Verschwörungstheorie nicht die gebotene Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, man führt außerdem den Kampf in einem System, das von den Angezeigten in der Regel sowohl kontrolliert als auch ignoriert wird.

Die CCC-Anzeige vereinbart die mediale Böllerei der Strafanzeige dabei noch mit der angenehm folgenlosen Möglichkeit, sich der Anzeige „anschließen“ zu können. Für das komplette Klicktivismus-Wohlfühlpackage fehlt nur noch ein symbolträchtiger „We fight back“-Tag, an dem alle ihre Webseiten schwarz färben oder so. Halt, gibts ja doch.

Wir leben in einer Zeit, in der es der netzpolitischen Elite offenbar genügt, im regelmäßigen Rhythmus „neue Erkenntnisse“ über die NSA zu publizieren, so als ob es gedanklich unerreichbar ist, einfach mal „Alles. Jeden. Überall“ zu realisieren und das offensichtliche Ziel zu erkennen: Geheimdienste überwinden.

Solange das so bleibt werden wir uns wohl damit begnügen müssen, dass jede Woche ein neues Stück der Snowdenschen Powerpoint-Sammlung rumgereicht wird und ab und zu jemand halt die Regierung anzeigt.

Formlos. Fristlos. Fruchtlos.

7 Kommentare

  1. Wolfgang Preiss

    leider gehst du mit deiner Kritik am Wesentlichen vollkommen vorbei. Es wird Strafanzeige erstellt, weil man der Meinung ist, dass jemand gegen geltendes Gesetz verstoßen hat und fordert den Ermittlungsapparat auf, sich dem anzunehmen. Dass diese Strafanzeigen nicht weiter verfolgt werden ist keine Schwäche des Anzeigenden, oder ein politisches Spiel, sondern eine Schwäche der Ermittlungsbehörden.
    Dass also eine scheinbar aussichtslose Anzeige erstattet wird, dient auch der Offenlegung, dass Ermittlungsbehörden trotz augenscheinlichem strafbaren Verhalten nicht tätig werden.
    Es zeigt auch auf, dass die Anzeigenden an der freiheitlich demokratischen Grundordnung festhalten und sich der gültigen Gesetzgebung verpflichtet fühlen und dies auch von den angezeigten Regierungsvertretern wünschen.

      1. mohs

        sehe ich ähnlich, im schwächsten Fall ist es halt ein weiterer Fingerzeig auf die bestehenden Probleme. Interessanter fände ich jetzt aber aus der Erkenntnis, dass die Anzeigen wenig bringen gefolgerte Schlüsse. Also wenn das nicht hilft, was hilft denn?

  2. Elle Nerdinger

    Meckern? Mitmachen!
    Die Anzeige der NRW-Piraten vom 29.04.2015 gegen die Verantwortlichen im Bundeskanzleramt und dem BND ist raus. Sie, Herr Peukert, haben auf auf diese Anzeige reagiert mit einem Tweet am gleichen Tag und Verweis auf Ihren obigen Blogbeitrag „Formlos, fristlos, fruchtlos – Strafanzeigen als politisches Werkzeug“ mit der Feststellung „Außer der Berichterstattung über die Anzeige passierte aber nichts – Und so läuft es halt jedes Mal.“ Ihr Ball jedoch ist nicht im Tor gelandet, sondern weit über das Eckige hinweg gesegelt. Doch war dieser Spielzug grandios mit tollen Kurzpässen in Form einer gelungenen Aufzählung der Anzeigen, die in letzter Zeit von Piraten oder dem CCC aus in Richtung Regierung abgesondert worden sind, vorbereitet.

    Was bleibt ist für mich ein frommer Wunsch nach Abschaffung der Geheimdienste. Es ist schön und gut, ein Ziel zu benennen. Es ist auch in Ordnung, wenn man falsche oder schwer gangbare Pfade benennt. Aber was mich gänzlich irritiert an ihrem Tweet zur aktuellen Anzeige der Piraten gegen die Verantwortlichen im Bundeskanzleramt und dem BND ist die fehlende Benennung einer alternativen Strategie.

    Mich würde brennend interessieren, wie denn das Garamond oder die Helvetica der politischen Methoden aussehen würde. Was ist wirksam?

    Menschenketten, Telefonketten oder gar Unterhosen an die Bundesregierung schicken? Das ist ja etwas sehr intimes, die haben ja schon quasi den Rest.

    Allerdings bringen auch Anzeigen, Aktionen, Presseecho und Interviewanfragen Sie helfen ein Thema hochkochen lassen und Aufmerksamkeit für einen gravierenden Missstand erzeugen. Doch würde mich an dieser Stelle und in dieser sehr präkeren Situation unserer Demokratie weniger interessieren, was blöd oder peinlich ist, sondern was tatsächlich wirksamer als die bisher verwendeten APO-Instrumente wäre.

    Ich kann jedoch, das tut mir leid, nichts mit Wünschen oder Absichten alleine anfangen. Das die Geheimdienste so nicht mehr gehen ist klar. Um den Punkt rüber zu bringen kann ich zusätzlich noch dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen auf der Freiheit statt Angst-Demotour in der gesamten Republik erscheinen. Druck von der Straße hilft. Das zeigte sich schon gegen ACTA und wird sich hoffentlich auch bald gegen TTIP zeigen.

    Wir können natürlich auch dafür sorgen, dass Bürger ihre Abgeordneten kontaktieren und auf den Missstand hinweisen. Auch ohne Unterwäsche oder alte Kontoauszüge und Liebesbriefe gleich mitzuschicken.

    Doch was gibt es noch, Herr Peukert? Was würden Sie denn dem CCC und den Piraten ans Herz legen, um nicht mehr zum falschen Werkzeug zu greifen?

    Denn Sie wissen: Der Wahlzettel hat vier Ecken, die Wahlperiode im Bund vier Jahre und irgendwo muss man ja auch anfangen. Hinzufügen und weiter, besser und effektiver machen geht immer. Da ist noch locker Zeit bis 2017.

    Ich freue mich auf ihre Ideen!

    Mit gespannter Hochachtung grüßt

    Elle Nerdinger

  3. Endy Dorson

    Es ist schon ein Kreuz. Jeder rechts- und machttreue Mensch kann sich die Strukturen unseres Rechtssystems dienlich machen und anderen Schranken setzen. Selbst wenn Mensch vor den Gerichten nicht recht bekommt, hat die mediale Berichterstattung dafür gesorgt, dass die empfängliche Öffentlichkeit weiß, was von den Angezeigten zu halten ist.

    Bloß funktioniert dieses Marginalisierungskonzept nur in ungleichen Mehrheitsverhältnissen, und dort nur in der einen Richtung. Es ist einer der großen Irrtümer der Piratenpartei und manch anderer Organisation zu erwarten, dass unser Rechtssystem demokratisch oder gar ethisch sei. Unser Rechtssystem ist demokratisch fundiert und wer es auf seiner Seite haben will, muss zuerst die politische Mehrheit finden, um entsprechende Korrekturen vornehmen zu können.

  4. OlliWaack

    Mir kommt, wenn ich Anzeige höre, immer der verstorbene Günther Kaufmann in der Rolle des Schrecklichen Sven aus Wickie in den Sinn, der, nachdem er geschlagen ist, brüllt: „Wir sehn uns vor Gerrricht!!“
    Was Elle schreibt ist jedoch auch richtig. Reines Rummäkeln ohne Wege aufzuzeigen, ist, bis zu einem gewissen Grad sinnig, danach nur noch nervig. Dann braucht es andere politische Arbeit.
    Welche Wege führen also zu dem Druck, der politisches Handeln erzwingt?
    Wir wissen, wie oft Verfahren gegen Politiker eingestellt werden, unser ehemaliger Kanzler Helmut Kohl hatte mehr als eine Handvoll an der Backe, fast alles wurde eingestellt oder das Urteil fiel wegen Erinnerungslücken mild aus.
    Verfahren werden in der Regel aus zwei Gründen eingestellt, einmal wenn kein öffentliches Interesse besteht, oder auf Weisung. Ein/e StaatsanwältIn ist also weisungsgebunden. Ein ganz wichtiger Punkt. Deutschland hat keine unabhängigen ErmittlungsrichterInnen, die mit eigenen Teams ermitteln und anklagen. Die Gründe sind bekannt. Ich bedaure dies sehr.
    Wir wissen auch, wie Menschen unser Justizsystem für eigene Zweche missbrauchen und manipulieren, aktuellstes Beispiel: der Prozess gegen den Berliner Abgeordneten Oliver Höfinghoff, in dessen Verlauf aufgezeigt wurde, dass die Anklage auf Lügen und Absprachen beruhte und jeder Grundlage entbehrte.
    Eine im Sande verlaufende Anzeige halte ich für schädlich in dem Sinne, dass evtl. vorhandenes Restvertrauen in der Bevölkerung weiter erodiert und zu noch fataleren Haltungen führt. Es bleibt also eine hilflose, schädliche Geste, solange kein echtes Verfahren folgt.
    Wie Elle richtig bemerkt, ist eine gewisse Präsenz auf der Straße gut geeignet, politischen Druck zu erzeugen. Die Menschen zu mobilisieren, damit eine gewisse Relevanz erreicht wird, ist in diesen Zeiten jedoch ungleich schwerer geworden, als es in den 70ern und 80ern des vergangenen Jahrhunderts war. Das sich in Bonn auf einer Friedensdemo 1982 fast eine halbe Million BürgerInnen gegen Krieg versammelten, ist heute unvorstellbar. Man freut sich, wenn 5-10000 kommen.
    Mir kommt dabei sofort Generalstreik in den Sinn. Ein extrem wirkungsvolles Druckmittel. Allein die Drohung hat in den Zeiten vor Helmut Kohl. als die Gewerkschaften noch Biss hatten, die Verhandlungsbereitschaft enorm erhöht. Ein Generalstreik, der das ganze Land für ein paar Tage lahmlegt bis gehandelt wird, ist ein probates, demokratisches Mittel. Ich fürchte, das ist mit unseren Gewerkschaften nicht umzusetzen.
    Der Generalstreik sollte, allein wegen dem fürchtbaren Massensterben an Europas Grenzen, sofort ausgerufen werden.
    Die Nummer mit den Spitzelbehörden reicht dafür ebenfalls aus. Gründe gäbe es also genug.

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