Sex als Ware
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Sex als Ware

Ein Gastbeitrag von Julia Schramm

„Weiße Sklaverei“ heißt es in dem Aufruf von Alice Schwarzer und vielen bekannten Köpfen, in dem ein Prostitutionsverbot gefordert wird. Eine bittere Wortwahl, die sich nahtlos in die immer wieder rassistischen Ressentiments der EMMA einreiht und recht deutlich macht, welche Rolle Sexarbeiter*innen in dem dargelegten Weltbild zugewiesen wird – die des ohnmächtigen Opfers. In ewigen Elegien über die notwendige Rettung versklavter Frauen oder mindestens verirrter Sexarbeiter*innen ergießt sich der Aufruf garniert mit den ernsten Blicken deutscher Prominenter. Die Medienanstalten des Landes freuen sich – endlich können sie wieder halbnackte Frauenkörper in zwielichtigen Situationen zeigen, vermutetes Leid inszenieren und gleichzeitig mit plattem Sexismus Quote machen.

Dem setzen sich nun zunehmend organisierte Sexarbeiter*innen entschieden entgegen und betonen, dass Sexarbeit immer selbstbestimmt sei, dass ohne Einwilligung nicht von solcher gesprochen werden dürfe. Es liegt auch nahe, dass Sexarbeit tatsächlich freiwillig gemacht wird und gemacht werden kann. Dennoch lässt sich bezweifeln, dass „nicht nur Deutsche, sondern auch Migrant_innen überwiegend freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig“ sind, wie es im Gegenaufruf für Prostitution heißt.

Nun muss hierbei in Betracht gezogen werden, dass die betroffenen Sexarbeiter*innen zusätzlich zum ohnehin hohen Berufsrisiko staatlichen Repressionen ausgesetzt sind und wesentliche Rechte verweigert bekommen – das ist ein unhaltbarer Zustand. Es ist notwendig sich an dieser Stelle mit den Betroffenen zu solidarisieren und die fehlenden Rechte mit einzuklagen respektive sich gegen ein Prostitutionsverbot einzusetzen. Eine kritische Betrachtung heutiger Prostitution ist zwar wichtig, muss aber immer in dem Zusammenhang gesehen werden, dass die Betroffenen sich in einem politischen Kampf befinden, der zunächst mal ein grundsätzliches Verständnis für Sexarbeit zu erkämpfen sucht. Trotzdem kommen in der ausgelösten Debatte die Töne zu kurz, die Prostitution kritisch sehen, obwohl sie sich gegen ein Prostitutionsverbot aussprechen.

Denn irgendwo zwischen dem selbstherrlichen Paternalismus bürgerlicher Feminist*innen unter EMMA-Ägide und der Selbstbestimmungsromantik privilegierter Sexarbeiter*innen liegt die eigentlich kritische Auseinandersetzung mit Prostitution und was ihre aktuelle Ausprägung – in Form von Flatrate-Bordellen zum Beispiel – uns über den Kapitalismus und die Rolle von Frauen in diesem sagt. Diese Auseinandersetzung jedoch scheuen sowohl Verfechter*innen eines Verbotes, als auch Gegner*innen. Auf der einen Seite scheinen die Verfechter*innen eines Verbots tatsächlich zu glauben ein solches würde effektiv das Anbieten von Arbeitskraft in Form von Sex verhindern. Ganz im Sinne des alten Spruchs, dass ein Verbot unter Brücken zu schlafen für alle gilt, sowohl für Millionäre, als auch für Obdachlose. Auf der anderen Seite verschweigen einige der Sexarbeits-Aktivist*innen die Tatsache, dass ökonomische Notwendigkeiten de facto bedeuten, dass ein „Nein“ zu Freiern oft nicht möglich ist und dass die Realität vieler Sexarbeiter*innen hochgradig prekär ist. Dies lässt sich nicht zuletzt an den realen Preisen für Sex bemessen, die zum Teil bei 30 Euro pro Geschlechtsakt liegen.

Die Pauschalverurteilung derjenigen, die dieser Arbeit nachgehen, als ewiges Opfer ist auf der anderen Seite jedoch nur der Ausdruck einer mystifizierten Vorstellung von Sex als immer gegenseitigem Akt der Liebe, die an den Lebensrealitäten scheitert. Dieser Illusion von ewiger Liebe, von reinen Seelen oder sonstigen bürgerlichen Wahnvorstellungen muss entschieden widersprochen werden, ganz besonders, wenn es dazu dient die Entscheidung von Menschen, wie sie ihre Arbeitskraft verkaufen, repressiv einzuschränken. Der kapitalistische Zwang seine Arbeitskraft verkaufen zu müssen bedeutet auch die Entscheidung, wie die Arbeitskraft verkauft wird, treffen zu müssen. Dass sexuelle Dienstleistungen im Zweifel bevorzugt werden, ist eine legitime Entscheidung und sollte nicht mit eigenwilligen moralischen Vorstellungen überladen werden. Sex hat natürlich Warenform und eröffnet insbesondere Frauen Handlungsoptionen, die ihnen ihm patriarchalen Kapitalismus verweigert werden. Schon die organisierten Sexarbeiterinnen der Weimarer Republik betonten die durch Sexarbeit erworbene Unabhängigkeit.

Dennoch ist Sexarbeit (im patriarchal-kapitalistischen System) kein „normaler Job“. Die Berufsrisiken von Sexarbeiter*innen sind unweit höher, das Risiko Opfer unbestrafter Gewalt und Ermordung zu werden im Vergleich zur, sagen wir mal, Sachbearbeiter*in deutlich gesteigert, ganz zu schweigen von gesundheitlichen Risiken. Hinzukommt, dass Sexarbeiter*innen geächtet werden und als Schablone für Beleidigungen dienen. Die gesellschaftliche Abwertung von Frauen kulminiert in den Umständen, denen Sexarbeiter*innen ausgesetzt sind, der Tatsache, dass es Frauen gibt, denen keine anderen Optionen bleiben und der gesellschaftlichen Bewertung dieser Form der Arbeit. Kapitalistische Ausbeutung ist für die überwältigende Mehrheit der Menschheit Realität – im Fall von Prostitution zeigt sie sich aber besonders abgründig. Nicht nur werden Sexarbeiter*innen grundlegende Schutzrechte verweigert, die Gründung organisierter Interessenvertretungen deutlich erschwert und eine gesellschaftliche Stigmatisierung betrieben, sondern auf der anderen Seite werden die Risiken und Probleme der Sexarbeiter*innen gesellschaftlich ausgeblendet, während Bordellbesuche immer noch gängig sind. Konkret heißt das, dass die Unterstützung des Kampfes der Sexarbeiter*innen für das Recht ihre Arbeitskraft sicher verkaufen zu können, uns nicht davon befreit die Rolle der (meist männlichen) Freier kritisch zu betrachten.

Bernd Ulrich schreibt in der ZEIT, dass der Freier „in Wirklichkeit nicht für den Sex, sondern für die Abwesenheit der Frau als Person, als Mensch“ bezahlt. Bettina Flitners Reportage über Freier in einem Stuttgarter Bordell bestätigen diese Aussage – den befragten Freiern geht es darum, mit den Sexarbeiter*innen machen zu können, was sie wollen, keine teuren Essen zahlen zu müssen und jederzeit eine andere haben zu können. Die Wahrnehmung und Bewertung der Frau in diesem Zusammenhang ist eindeutig; Sex in diesem Kontext keine gegenseitige Sache, sondern etwas, was dem Mann gegeben wird, was der Mann sich nimmt, worauf er ein Recht hat, unabhängig davon, ob die Frau das möchte, geschweige denn Spaß hat. Hier zeigt sich auf brutale Art und Weise, welche Wertigkeit weibliche Sexualität hat und mit welcher Selbstverständlichkeit sie als austauschbar verstanden wird. Und diese Austauschbarkeit ist es schließlich, die sexualisierte Gewalt gegen Frauen so alltäglich macht, wie die Debatte im Zuge von #aufschrei gezeigt hat. Flatrate-Bordelle sind der tragische Tiefpunkt dieser konstanten und gewalttätigen Abwertung. Das Bordell wird so zum Ort von radikalisiertem Frauenhass. Anna-Katharina Meßmer formuliert es in der ZEIT (46/2013) so, dass Sexarbeit die krasse Ausprägung sexistischer, kapitalistischer und rassistischer Machtstrukturen ist.

Flitners Reportage zeigt dann aber auch, dass Freier oft mit einer bizarr romantischen Grundhaltung an Bordellbesuche herangehen. Sie nehmen das „Ich liebe dich“ der Sexarbeiter*in mit, auch wenn sie wissen, dass sie es nur sagen, weil sie sonst die Miete nicht zahlen können. Kundenbindung. So zeigt sich, dass die Warenform von Sex die simulierte Gegenseitigkeit ist, das Kaufen eines gelogenen „Ich liebe dich.“  Oder eben das sadistische Ausüben von Macht in einer Welt, in der das Männliche sich zunehmend unter Beschuss zu sein wähnt.  Widersprüchlichkeit wohnt dem Kapitalismus inne und zeigt sich im Fall von Prostitution deutlich in der Zwiespältigkeit, etwas, das sich über Freiwilligkeit konstituiert, kaufen zu wollen.

Was heißt das jetzt aber für die konkrete Auseinandersetzung mit dem geforderten Prostitutionsverbot? Alice Schwarzer hat mit ihrem Aufruf eine Debatte losgetreten, in der sich abermals nicht an dem abgearbeitet wird, was für die betroffenen Menschen die Realität ist, sondern an kruden Vorstellungen davon, was Liebe und Sex sein darf und soll. Generell zeigt sich hier die zutiefst konservative Haltung eines bürgerlichen Feminismus, der sich auch nicht zu schade ist mit der CDU zu kollaborieren. Dass dies nun auf dem Rücken von Sexarbeiter*innen ausgetragen wird ist unerträglich. Es ist unumgänglich, dass Sexarbeiter*innen geschützt werden, dass deutlich wird, dass Sexualität eben auch Arbeitskraft sein kann, dass ihnen grundlegende (Arbeits-)Rechte zuerkannt werden. Ein Verbot von Prostitution würde in der jetzigen Situation Sexarbeiter*innen schaden. Dass die real existierende Prostitution jedoch eine besonders fiese Ausprägung des patriarchal-kapitalistischen Systems ist und ein Spiegel für den umfassenden Sexismus in unserer Gesellschaft, darf dabei unter keinen Umständen vergessen werden.

3 Kommentare

  1. A.G. Cat

    Danke, das war sicher mal einer der ausgewogeneren Beitrage, die zu diesem Thema bisher geschrieben wurden.

    Trotzdem ein paar Anmerkungen:

    Die sogenannten „Flatrate“-Bordelle sind eher eine Randerscheinung des Rotlicht-Milieus. Das Interesse daran ist jetzt gros, weil es etwas neues ist, aber man sieht jetzt schon, dass viele davon nicht gut laufen und wieder andere Geschaftsmodelle ausprobieren. Kein Wunder, die meisten, die es ausprobieren, stellen schnell fest, dass die Leistungsfahigkeit des Mannes engere Grenzen hat, als man sich selber eingestehen mochte. Auf jeden Fall: „Flatrate“ ist das nur fur Manner ? die Frauen werden ublicherweise pro „Zimmergang“ bezahlt ? angeblich verdienen sie so meist besser als auf der Strase. Heisst es wenigstens.

    Die Vorstellung, dass Geld keine Rolle im Liebesleben spielen sollte ist ebenso verbreitet, wie sie unrealistisch ist. Soziookonomische Faktoren spielen bei der Partnersuche so sehr eine wichtige Rolle wie bei Affairen. Kurz gesagt: wohlhabende Manner finden nicht nur leichter eine Frau, sondern auch eher eine Bekanntschaft. Das hat nichts mit „zum Essen einladen“ zu tun, sondern schon damit, ob sie uberhaupt als mogliche (Sex- oder Lebens-) Partner wahrgenommen werden.

    So greift auch die Vorstellung, „reicher Mann kauft sich arme Frau“ oft zu kurz: allzu oft sind es okonomisch benachteiligte Manner, die so uberhaupt ein Sexualleben haben konnen – mit Frauen, die oft ein vielfaches als sie selbst verdienen (dabei aber sozial ausgegrenzt sind).

    Das hat wenig mit „Macht ausuben“ zu tun ? auch wenn es das naturlich auch gibt ? sondern viel mehr mit „Teilhabe“. Nicht ohne Grund ist vielen Freiern das Sprechen und die menschliche Nahe ebenso wichtig wie der eigentliche Akt. Und nicht umsonst gilt in den Freierforen, wo die „Leistungen“ der „Dienstleisterinnen“ besprochen und bewertet werden, eine Prostituierte, die „GF6“ macht, also die eine Situation schafft, in der man sich wie bei der Freundin fuhlen kann, als besonders gute Bewertung.

    Wie das Verhaltnis zwischen SexarbeiterInnen, die diesen Job mehr oder weniger freiwillig machen und solchen, die es eher unter Zwang machen ist, kann man schwer einschatzen ? die Grenzen sind hierbei ja fliesend. Frauen, die mit Zwang im Bordell festgehalten werden, sind sicherlich ein extremer Ausnahmefall, aber was ist mit denen, die sich aus wirtschaftlicher Not prostituieren mussen? Was, wenn die Wahl nur heisst: Harz IV oder Bordell?

    Wenn es keine oder zu wenig Moglichkeiten gibt, mit der gering qualifizierte anderweilig ein menschenwurdiges Auskommen finden konnen, dann wird der Staat zum Zuhalter.

    Immerhin muss man sagen, dass deutsche Prostituierte selten geworden sind. Die kommen heute eher aus Sudosteuropa, wo die Armut noch groser ist, und die sozialen Netze noch weitere Maschen haben…

  2. M. A.

    Hallo Julia!

    Die sogenannten „Flatrate-Bordelle“ nennen sich meistens Pauschalclub oder Partytreff und unterscheiden sich von den sonst üblichen Saunaclubs oder FKK-Clubs eigentlich nur dadurch, dass die Bezahlung nicht pro Zeiteinheit sondern pauschal erfolgt. Insbesondere dürfen die Männer auch in Pauschalclubs mit den Frauen natürlich nicht alles machen, was sie wollen, sondern nur, was diese zulassen! Dabei sind in Pauschalclubs speziellere Praktiken wie Oralverkehr ohne Kondom, Sperma schlucken oder Zungenküsse sogar weniger üblich als etwa in Saunaclubs, wo für spezielle Praktiken oft ein Aufpreis bezahlt wird. Auch wenn die Werbung anderes suggeriert, können die Männer in Pauschalclubs noch nicht einmal so oft sie wollen (und können). Sondern sie sind darauf angewiesen, dass die Frauen auch mitmachen. In Saunaclubs dagegen haben die Frauen einen viel höheren Leistungsdruck und können es sich wegen der hohen Konkurrenz deutlich weniger aussuchen, zu welchem Mann sie sich begeben, wenn sie zumindest ihren Eintritt wieder reinholen wollen. Während man in Saunaclubs mehr oder weniger alles bekommt, solange man es bezahlt, ist in Pauschalclubs eher Freundlichkeit gefragt. Daher sehe ich Pauschalclubs auch als die weniger kapitalistische Form. Ich kenne eine deutsche Sexarbeiterin, die aus diesen Gründen in einem Pauschalclub arbeitet und diesen den Saunaclubs vorzieht.

  3. Bernd

    >Sex in diesem Kontext [ist] keine gegenseitige Sache, sondern etwas, was dem Mann gegeben wird, was der Mann sich nimmt, worauf er ein Recht hat, unabhängig davon, ob die Frau das möchte, geschweige denn Spaß hat.

    Doch. Eine Person stellt das Geld, die andere eine sexuelle Dienstleistung. Das Ganze ist also keine Einbahnstraße. Es ist ein Tauschgeschäft. Und er nimmt sich auch nicht, worauf er „ein Recht hat“, sondern nur das, was vorher zwischen beiden Personen abgesprochen wurde. Es wurden Grenzen vorher abgesteckt, und eine Grenzverletzung ist automatisch eine Straftat.

    >Hier zeigt sich auf brutale Art und Weise, welche Wertigkeit weibliche Sexualität hat und mit welcher Selbstverständlichkeit sie als austauschbar verstanden wird.

    Das mag möglicherweise in der Sexarbeit zutreffend sein, für die gesamte Gesellschaft stelle ich dies jedoch in Frage. Weibliche Jungfräulichkeit hat in nahezu allen Gesellschaften eine höhere Bedeutung als die männliche. Hinzu kommt eben auch, dass eine Frau, die viele Sexpartner hatte immer noch als Schlampe abgewertet wird, auch von Frauen. Daher ist weibliche Sexualität eben nicht austauschbar, sondern wird gesellschaftlich als etwas schützenswertes angesehen. Literaturtipp: Baumeister, R.F., und Vohs, K.D. (2004): Sexual economics: Sex as female resource for social exchange in heterosexual interactions. In: Personality and Social Psychology Review. 8: S. 339-363.

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