Teurer Triumph – ein Kommentar zur Piratenpartei
Teurer Triumph – ein Kommentar zur Piratenpartei

Teurer Triumph – ein Kommentar zur Piratenpartei

Ein Gastbeitrag von Klaus Peukert

Es gibt für eine Parlamentarierin sicher angemessenere Möglichkeiten, den Opfern von Krieg und Faschismus zu gedenken, als ausgerechnet mit nacktem Oberkörper „Bomber Harris“ zu danken. Insofern war es nicht gerade einer der lichtesten Momente von Anne Helm, Piratenpolitikerin und für die Piraten in der Neuköllner Bezirksversammlung, als sie am 13.02.2014 in Dresden genau diese Aktionsform zum Protest gegen den traditionellen Naziauflauf wählte.

Allerdings hatte sie sich – in erster Linie wohl zum eigenen Schutz und in zweiter Linie um keine Verbindung zu ihr als Politikerin zu ziehen – vermummt und wollte unerkannt bleiben. Verständlich, sind doch antifaschistisch agierende Menschen nicht nur innerhalb der Piratenpartei Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt. So weit, so unspektakulär. Bis der für seine investigative Berichterstattung („Kiffen tötet!“) weithin bekannte „Berliner Kurier“ versuchte, aus einer Vermutung, die Person hinter der Maske wäre die Piratin Helm, den Skandal der Woche zu stricken.

Nun ist es auch für Piraten nichts sonderlich neues, auf den Titelseiten des Boulevard zu landen. Man denke nur an Simon Weiß und seinen Salzstreuer-Scherz in den guten alten Zeiten, als Piraten noch neu, exotisch und auch ein wenig cool waren. Und vermutlich hätte es außer verschwendeter Druckerschwärze und einer neuen Klickstrecke auch keine weiteren Folgen von Anne Helms Entblößung gegeben, wenn, ja wenn, nicht ausgerechnet ihre eigene Partei über das Stöckchen des Berliner Kuriers gesprungen wäre.

Durch die Piraten wurden bisher die Prinzipien von Anonymität, freier Meinungsäußerung, Menschenrechten im Allgemeinen und Bürgerrechten im Speziellen bis über jegliche Schmerzgrenze hinaus immer besonders hochgehalten. Auch dann noch, wenn beispielsweise der Preis von Anonymität und freier Meinungsäußerung war, dass heftigste Hasskommentare – wie sie beispielsweise das frühere Vorstandsmitglied Julia Schramm für ihr literarisch seichtes aber eben mit einem Kopierschutz versehenes Erstlingswerk abbekam – ungeahndet bleiben mussten.

Diese Rechtsstaats-Piraten verglichen nun akribisch Brustwarzen, Gürtelschnallen und Tattoos und zerrten mit detektivistischem Spürsinn einen Menschen aus der zum Schutz seiner Meinungsäußerung gewählten Anonymität ans Licht. Wie eine Trophäe wurde die Aufdeckung hochgehalten und triumphierend rumgereicht. Morddrohungen gegen Anne Helm als Folge der Aufdeckung? Bestenfalls ignoriert, denn dem abendlich tagenden Schnelltribunal im „Mumble“ – der parteieigene Sprachchat – wurde ja die zum Beweis der Drohung verlangte Nennung des zugehörigen Aktenzeichens verweigert.

Doch nicht nur das Prinzip der freien und anonymen Meinungsäußerung wurde an der tiefsten Stelle eines Sees versenkt. Die von der Leyen’schen Netzsperren und andere Eingriffe in Internet und digitale Infrastruktur waren 2009 der Kondensationspunkt, an dem der erste Piratenhype auskristallisierte. Frei müsse das Internet sein, demokratisch kontrolliert, ohne staatliche Zensur und ungefiltert. Facebook war zwar der erklärte Datenschutzfeind, aber Facebook abschalten? Das machen doch nur Diktaturen!

Und dann knipsen die Piratenadmins mal eben ihre eigenen Server aus, weil ihnen das Vorgehen ihres Dienstherren nicht passte. Wollte der Bundesvorstand doch partout nicht in das Triumphgeheul des wütenden Mobs einstimmen, weil er als Einäugiger unter Blinden erkannte, dass Annes Dummheit neben den inzwischen – auch wegen der Aufhebung ihrer Anonymität durch Piraten – entstandenen Folgen schlicht verblasste. Aber wenn der Vorstand nicht hören will, dann muss die Partei eben mal fühlen, wer hier am längeren Ruder sitzt.

Für diesen kurzfristigen Triumph über die parteiinternen Gegenspieler bezahlen nun alle Piraten mit dem endgültigen Verlust zweier Kernthemen: Anonymität und freies Netz. Nach diesem, vom größten Teil des parteiinternen Mittelbaus mitgetriebenem, „Bombergate“ werden sich die Piraten nicht mehr glaubhaft für Anonymität, angst- und repressionsfreie Meinungsäußerungen oder freie und demokratisch kontrollierte Netze in Nutzerhand aussprechen können.

Wie könnte man ihnen denn das noch abnehmen, wenn all diese hehren Prinzipien nicht mehr zählen, sobald man einen ungeliebten Kopf der Partei um eben diesen kürzer machen kann?

25 Kommentare

  1. dingens

    Was für ein schwacher Text,

    das Problem ist doch dass ein sektenähnliches, korruptes Netzwerk jahrelang die Partei terrorisiert hat. Nicht Annes Aktion war interessant sondern die Reaktionen danach. Auch diese hier.

    Aber seid euch sicher: Diese Zeiten sind nun vorbei. Ihr wart zu langsam, zu wenige und ihr verbreitet schlicht und einfach die Unwahrheit. Deshalb musstet ihr scheitern. Die Piraten wird es noch lange geben aber ohne Ego-Politiker wie euch.

    Bin sehr gespannt ob dieser Kommentar freigeschaltet wird. Wahrscheinlich nicht. Das ändert aber auch nichts an eurem Scheitern.

  2. Michael

    Und weil ein paar Leute Scheiße gebaut haben, stampfst du gleich die ganze Partei ein?
    Die Gegner unserer „Prinzipien“ lachen sich ins Fäustchen, ob solcher Beiträge.
    Was sollen denn die Leute deiner Meinung nach bei der Europawahl wählen?
    Wir wär’s sich mal mit TTIP, NSA, ESM, CETA etc. , und mit dem was die anderen Parteien treiben, zu beschäftigen?
    Was glaubst du wieviel Demokratie, Privatsphäre, Anonymität und freies Netz du bei CSU, SPD der AfD bekommst?

    Jede Partei schießt Böcke und hat Skandale aber nur einige Piraten sind so blöd, die eigenen immer wieder verschärft hoch zu kochen, insbesondere vor Wahlen.

    Die Frage ist also warum, und zur Hölle für wen, schreibst du eigentlich so einen Beitrag?

    Du merkst schon, ich bin der mit den Fragen.

    Michael

  3. Moin aus dem verregneten Hamburg,

    sehr schade das auch Klaus Peukert leider zum einen die Intension des #Orgastreik, die Abschaltung des Zugriffes auf einige der Piratendienste, nicht verstanden hat oder verstehen will. Und zum anderen auch die Definition von Netzneutralität, welche er anspricht nicht beachtet.

    Na ja, ist das halt so.

    Gruß Borys Sobieski

  4. Idahoe

    Tja, lieber Klaus,

    Täter-Opfer Umkehr? Du denkst weiterhin in Schablonen. Verantwortung übernehmen? Fehlanzeige!
    Schon mal drübernachgedacht, daß Du selbst zu den Problemverursachern gehörst?
    Nein, sicher nicht, Götter können schliesslich nicht irren. Du bist einer derjenigen, die bereits im Besitz der einzig wahren Wahrheit sind. Die sind hierbesonders sehr stark vertreten.

    Will hier nicht mal einer das beste Werkzeug ausprobieren, das dem Menschen mitgegeben wurde? Ist die Bedienungsanleitung durch Sprachverwirrung vielleicht nur unverständlich? Oder fehlt diese Bedienungsanleitung in Gänze?

    Ist das die neue P(e)iratology? Im Besitz des einzig wahren Piraten-GLAUBENS? Die mit den simplen Wahrheiten?

    Lang lebe der hetzende Freund-Feind- Denker! Lang lebe d(i)e(r) Sekt(e)!

  5. Bernd

    Von welcher Anonymität redest du? Anne hat im übertragenen Sinn bestenfalls ihren Nachmanem auf das Initial gekürzt. Daher kann man durchaus unterstellen, dass sie dem Nervenkitzel der Skandalprominenz erlegen ist, mindestens. Anschließend wuchs ihr das Ding über den Kopf, und sie versuchte es mit Ausflüchten, die ebenfalls aufflogen. Spätestens hier geriet die von dir gescholtene Vernachlässigung des Rechts auf Anonymität mit der piratigen Pflicht, aufrichtig zu sein, in Konflikt. Ein Dilemma. Ihr Dilemma.

    Bleibt abzuwarten, ob sie ihr Schicksal demnächst in Form eines Buches aufarbeiten wird.

  6. Fach

    Eine bodenlose Frechheit von jemanden der die Partei mit kaputtgemacht hat und dann einfach ging. Weil mit dem finger auf andere zeigen immer einfacher ist als sein selbstgemachten Dreck aufzuräumen.
    Tu uns eine Gefallen und erspar uns weitere geistigen Ergüsse deinerseits zu „den“ Piraten die ja für dich gescheitert sind oder warum tritt man sonst aus?

  7. Zutreffende Feststellungen. Die Piratenpartei hat durchaus einige kluge Köpfe. Diese gehen aber zwischen einem unerträglich lärmenden Mob mit BILD Niveau einerseits und ein paar begnadeten aber substanzlosen Selbstdarstellern unter. Ich bin vor ca. 3 Monaten ausgetreten. Darüber bin ich jetzt erst richtig froh.

  8. Spinni

    Hi Klaus,

    danke für den Artikel, es steht vieles drin, was ich genauso unterschreiben würde.
    Beim letzten Absatz widerspreche ich allerdings: Eine ziemlich dämliche Aktion von einem Teil der Partei bedeutet imho nicht, dass auf alle Zeiten der politische Anspruch der Piraten verwirkt ist. Unter der Vorraussetzung dass innerhalb der Partei eine Debatte stattfindet und eben auch klar gesagt wird, dass diese Aktion der Admins mindestens genauso blöde war wie der Stein des Anstoßes von Anne, sehe ich hier schon noch das Potential daraus zu lernen. Die Aktionen gegen Anne finde ich persönlich im Bezug auf das innerparteiliche Klima und Machtkämpfe noch viel schlimmer als das was die Admins gemacht haben. Ich sehe aber nach wie vor die Chance dass sich andere Umgangsformen und brauchbare politische Strukturen in der Partei entwickeln, ich vermute aber du bist da pessimistischer als ich 😉

    Die Piratenpartei ist noch nicht erwachsen: Was grad abgeht, halt ich für eine schlimme Form von Parteipubertät. Ich habe 2009 nach der Wahl gesagt, dass sich bei der übernächsten Bundestagswahl (also planmäßig 2017) zeigen wird, ob das Projekt Piratenpartei eine Chance hat auf der oberen Politikebene mitzuspielen oder nicht (lokal wird das immer irgendwo funktionieren). Kann sein, dass es sinnvoller ist, 2018 noch eine große Party zu schmeißen und dann was anderes zu machen. Ich hoffe allerdings, dass es nicht so kommt.

  9. soulless

    Eine, die Politikerin werden will, führt eine absolut nicht feinfühlige Aktion durch. Meint sie könnte einen auf Anonym machen um sich vor den Folgen zu schützen. Nachdem dann immer mehr rauskommt das sie es war steht sie nicht dazu sondern versucht dem Rest der Welt Geschichtsunterricht zu geben. Auf einer Plattform des BuVo. Die Morddrohungen von Neonazis, die es in jedem Fall gegeben hätte weil die sind zwar dumm aber nicht so dumm das sie nicht selber Tattoos vergleichen könnten, werden dann dazu genutzt Solidarität einzufordern und die absolute Fehlaktion unter den Tisch fallen zu lassen obwohl sie es ja doch offiziell immer noch gar nicht war.
    Irgendwann gibt sie es dann tatsächlich doch noch zu. Zieht aber selber keinerlei Konsequenzen aus ihrem mangelnden Feingefühl und ihren Lügen …. selbst gegenüber dem BuVo dem sie sich ja wohl gleich hätte outen können. Es kommen auch keine wirklichen Konsequenzen.

    Den !Ehrenamtlichen! aus der Orga platzt dann endgültig der Kragen. Politiker der Piraten sollten doch mal anders sein. Nicht so an ihrem Posten festklebend, ehrlich, zu dem stehend was sie machen. Und nein, sie legen nicht einfach von heute auf morgen ihre Arbeit nieder nach dem Motto „Mir doch egal wie ihr jetzt klarkommt“, sie veröffentlichen nur ein Statement im Namen der Verwaltung und legen kurzzeitig ein paar Dienste, nicht aber die Kommunikation im Netz, lahm. Schalten Dienste, die dringend benötigt werden, sogar wieder frei. Als Belohnung schreien dann die Ganzen, die oft von Unterdrückung und wehren gegen miese Umstände und Anarchosyndikalismus faseln, laut rum von wegen „Dienstherr“ und Sabotage und vergleichen das ganze mit dem Abschalten des kompletten Internets und dem unmöglich machen von freier Kommunikation.

    Das ist es was die Piraten verloren haben. Andere Politiker? Von wegen! Genauso wie alle, lügen, in Salamitaktik zugeben was sich nicht mehr vermeiden lässt und am Posten kleben bleiben. Wehren gegen die Oberen wenn sie Mist bauen? Von wegen, Dienstherr, da hat man gefälligst selbst als Ehrenamtlicher brav und ohne sich zu wehren sein Arbeit zu erledigen …. unter allen Umständen.

  10. Es ist schon etwas dran an Deinen Gedanken, lieber Klaus Peukert. Aber es sei mir gestattet zu sagen, dass es von meiner Seite Widerspruch zu einigen Teilen gibt.
    So wie ich es verstanden habe, richtete sich der „orgastreik“ der Admins nicht ausschließlich gegen die Parteispitze. Ob man ihn nun als richtig oder legitim bezeichnet, egal – die mir bekannten Teilnehmer wollten gerade die unsägliche Diskussion beenden und auf die Kernthemen, für die nicht nur sie stehen, zurückführen. Aber vielleicht nur mein Eindruck. Ich bin kein Admin und kenne deren interne Diskussionen nicht.
    Du schreibst: “ Nach diesem, vom größten Teil des parteiinternen Mittelbaus mitgetriebenem, “Bombergate” werden sich die Piraten nicht mehr glaubhaft für Anonymität, angst- und repressionsfreie Meinungsäußerungen oder freie und demokratisch kontrollierte Netze in Nutzerhand aussprechen können.“, das geht mir zu weit. Es hat nämlich einen Haken. Die „angst- und repressionsfreie Meinungsäußerungen“ sind erst möglich wenn es der Anonymität nicht mehr bedarf. Anonymität ist eine Reaktion auf Angst und Repression.
    Der „größte Teil des parteiinternen Mittelbaus“ ist auch keiner. Aus der Erfahrung kann ich nur sagen, dass es der „größte Teil der Schreihälse“ war und ist, der das „#bombergate“, wie auch vorher das „#flaggengate“ vorangetrieben hat. Der wirklich größere Teil hat sich unterdessen um die wirkliche Parteiarbeit, u.a. die Vorbereitung auf die Kommunal- und Europawahlen, gekümmert. Dieser Teil hat die Arbeit gemacht.
    Das Problem ist aber, dass genau bei diesen „gates“ durch ebenjene „Lautsprecher“ immer wieder eine Positionierung verlangt wird, am liebsten von allen PiratInnen.
    Was man nun vom Auslöser, der Helm’schen Aktion, hält ist hier irrelevant. Die eigentliche Frage ist, gestehen wir einem Mitglied unserer Partispitze eine persönliche Meinungsäußerung zu, oder nicht?
    Eindeutige Antwort von mir: „Ich gestehe ihr diese zu.“
    Mit oder ohne Anonymität. Was ich aber niemandem zugestehe ist das Recht, diese Mienungsäußerung für seine/ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Unter dem Deckmantel des „freien und demokratisch kontrollierten Netzes in Nutzerhand.“ Diese Instrumentalisierung beschädigt nicht nur die Piratenpartei.
    Und genau das ist hier passiert. Von mehreren Seiten.

  11. Erich Sturm

    @Idahoe
    Dein Kommentar, anonym und voller Hass, beschreibt leider den internen Zustand der Piratenpartei besser als jede Analyse, egal wie gut oder schlecht sie ist.
    Anstatt das sich die Piraten um NSA, Informationsverifizierung bezügl. der Ukraine oder Mitbestimmung beim Thema Fracking engagieren, macht man sich lieber gegenseitig fertig. Ist ja auch bequemer. Wenn der Flügelstreit dann irgendwann mal beendet ist, sind alle progressiven und pluralistischen Menschen längst von Bord gegangen. Sehr schade.

  12. pit

    Lieber Klaus,

    Wer besondere körperliche Merkmale hat sollte sie verdecken, wenn er Anonym bleiben mag. Eigentlich alles an ihrer Aktion hat die beiden selbst verraten. Sie hätten halt vorher ihr Hirn einschalten sollen. Wie immer eigentlich bei solchen Aktionen, wo die Piraten danach schlecht dastehen.

    Was mich aber am meisten ärgert ist, dass die zwei einen Brandanschlag auf die russ. Botschaft versuchten und nicht ausgeschlossen wurden, gegenteil sie werden noch von vielen beschützt.

    Was bin ich froh, dass ich raus bin aus dem Laden, der Terroristen unterstützt!

  13. Stephan Fleischhauer

    Sorry Klaus, aber es geht hier nicht um den „kurzen Triumph“ einiger „Gegenspieler“. Was bei deiner Analyse völlig unter den Tisch fällt, ist, dass sich mit Bombergate eine Frustration entlädt, die sich über Monate aufgebaut hat.

    Google doch mal nach Peter Kruse und schau dir ein paar Videos mit ihm an. Er hat da ein paar Thesen, wie Aufmerksamkeit in Netzwerken wie dem Internet entsteht. Dann verstehst du vielleicht besser, warum es momentan bei der Piratenpartei so krass abgeht, das sind durchaus nichtlineare Prozesse, die sich mit einfachen Kausalbeziehungen nicht erklären lassen. Vergiss deine einfachen Schuldzuweisungen.

    Die Reaktionen auf „Thanks Bomber Harris“ wären wesentlich gemäßigter ausgefallen, wenn es an der Parteispitze nicht seit langer Zeit (!) diese Radikalisierung und Umbrüche bei der Priorisierung gewisser Themen gegeben hätte. Julia „Feuer frei“ Schramm, um dein Beispiel aufzugreifen, ist auch nicht bloß durch Lizenzfragen ihres Buchs aufgefallen, wäre ja auch lächerlich, wenn es nur darum ginge. Das Problem scheint eher zu sein, dass sich an der Parteispitze sehr viele Leute tummeln mit großer Klappe und wenig Bereitschaft zur differenzierten Auseinandersetzung mit Bedürfnissen der Mitglieder und Wähler. Da werden z.T. Sprüche rausgehauen, dass es einen nur so schüttelt.

    Was wir momentan in der Partei erleben, erscheint mir geradezu überfällig.

    Natürlich sind die Parteimitglieder selbst dafür verantwortlich, wen sie sich an die Spitze wählen. Ich bin 2009 in Kiel regelmäßig zu den Stammtischen gegangen und hab mich damals schon gewundert, wie schnell dort informelle Hierarchien entstanden sind, wie schnell die anfänglich große Beteiligung auf „Kader“ zusammengschrumpft ist, wie schnell die Basis sich z.B. von dem Zollbeamten Wolgang Dudda durch rhetorische Spielchen einlullen ließen, so dass er eine Blitzkarriere hinlegen konnte. Das hat mir gezeigt, dass die Partei völlig unreif ist, die Bewegung viel zu jung. Da müssen noch sehr viele Lektionen gelernt werden. Nichts für ungut, es ist ja noch viel Zeit.

  14. Stephan Fleischhauer

    Interessant wäre auch mal ein Vergleich mit den damaligen Skandalen um Holocaust-Leugner und Rechtsausleger. Meines Erachtens ging es da eher um Einzelpersonen, während wir es momentan eher mit einem Richtungsstreit zu tun haben.

  15. Twister

    Hi, Klaus
    zum Rest sag ich noch nichts, aber die Anonymität von Frau Helm war nie gegeben da sie schlichtweg etwas vergessen hatte, was wichtig ist:
    wer anonym bleiben will, sollte auch clever sein.
    Wenn ich jetzt deine These, dass Antifas halt lieber vermummt auftreten (zur eigenen Sicherheit) nehme, dann muss ich ergänzen, dass Frau Helm also diese Sicherheitsmaßnahme nicht einmal ansatzweise beherrscht.
    Man mag zur Vermummung und zur aktion stehen wie man will, aber wenn ich z.B. mit Skimaske ankomme und gleichzeitig meie characteristischen Knienarben sowie meine derzeitigen blau-grünen Haare, die abgerissenen Fingernägel und die Narben an den Armen zeige, dann bin ich nicht mehr anonym, sondern da habe ich dann wohl gedacht, die Skimaske reicht, was aber nicht der Fall war.

    Man mag kritisieren, dass sich auch Piraten an der „Auflösung des Rätsels“ beteiligt haben, aber die Anonymität selbst hat Frau Helm aufgegeben. Wer sich im Netz halbentblößt zeigt und dabei Tatoos und biometrische Merkmale wie z.B. gewisse körperliche Besonderheiten zeigt und dann auf einem neuen Bild zwar das Gesicht verhüllt, diese eindeutigen Merkmale aber erneut zeigt, der hat ja noch nicht einmal ansatzweise verstanden, wie Anonymität oder Tarnung funktioniert.

    Wäre ungefähr so als würdest du bei Heise einen Account eröffnen und denken, du bist anonym, während du zeitgleich schreibst: „Hey, hier ist ein neuer Beitrag von mir“ und auf diesen Beitrag verweist.

  16. IKMA

    Ich denke, dass die Debatte um Antifa, Nichtantifa, Shitstorms u.ä. an der Problematik vorbeizielt.

    Die Piratenpartei hat sicher mit kleinen Schritten in Sachen Vorratsdatenspeicherung und Netzsperren Gutes bewirkt. Doch ist zu bezweifeln, dass sie darüber hinaus noch eine politische Kraft darstellt, die den notwendigen Druck auszuüben vermag, die alltäglichen Probleme zu beheben.

    Um diese zu benennen: in unserer Gesellschaft werden die Machtebenen immer deutlicher, es gibt Geringverdiener, Vermögende, Lobbyzirkel, Leiharbeiter, Vermieter, Mieter, Gesetzgeber, Gesetzeshüter, Schlapphüte und Sachbearbeiter für ALGII – Anträge u.v.a.m. Die einen werden benutzt, andere spielen mit und sind Rädchen, andere werden ausgeforscht und gedemütigt. Dieses Land ist intellektuell auf dem Stand der DDR, die sich vor allem dadurch auszeichnete: Stagnation, Stillstand, Biederkeit. Eingemauert für 40 Jahre.

    Ich halte es sowohl strategisch für falsch als auch für mutlos, sich darauf zu beschränken, sich dem Parteiengesetz zu unterwerfen, anstatt dieses als Mittel zu nutzen, ernsthaft bewegte Opposition zumindest formell nach Grundgesetz mit der Ebene der Mächtigen gleichzustellen. Insofern war der oftmals vorgebrachte Ansatz „wir treffen nur objektiv richtige Entscheidungen“ ein erstes Zeichen für mangelnde Wut im Bauch. Die westliche Demokratie braucht eine Erneuerung, die sich im Rahmen der 60ziger oder der Wende bewegen müsste, um geschichtlich ernst genommen werden zu können. Doch dafür müsste es eine fantasievolle, nennenswerte Bewegung auf der Straße geben, die kluge, integere Köpfe vorzuzeigen hat.

    Ist es nicht eher so, dass kaum ein Pirat ernsthaft die Ungleichgewichte als so ungerecht und unmoralisch einstuft, dafür wenigstens mal ein Haus zu besetzen, eine mehrtägige unangemeldete Demonstration mitten im Berliner Kiez durchzusetzen oder irgendetwas zu tun, das der Schärfe des gesellschaftlichen Stillstands gerecht wird? Eine Partei hätte nach Grundgesetz eine kaum angreifbare Position. Waren da nicht sogar die 80ziger mutiger?

    Das Scheitern der Piratenpartei wäre dann undramatisch, wenn zukünftige Bewegungen in dieser Richtung daraus lernen. Die ständigen wechselnden Shitstorms waren dramatisch lustig aber nicht die Ursache der Probleme. So auch dieser.

  17. Max

    Ein paar interessante Ansätze. Allerdings passt eben einiges nicht – wie andere schon geschrieben haben.

    Das fängt mit der „Anonymität“ an und hört beim Orgastreik auf. Den ganz entscheidend ist doch die Intention, die mMn dahinter steckt: es ging hier doch nicht vorrangig darum, Kommunikation lahmzulegen, sondern darum zu sagen: „so haben wir keinen Bock mehr für euch zu arbeiten“. Das wurde auch so im Statement formuliert („Wir hatten eine Abmachung,…“).

  18. Pirat Parzival

    Lieber Klaus,

    es gibt einiges Wahres was du sagst und oft auch treffend formulierst. Nur du siehst ab und zu nur die halbe Wahrheit.
    Für jede Art von Selbskritik, für deine eigenen Schwächen im Umgang mit Macht und Demokratie, bist du noch oft zu blind. Bei Kritik an deinem Tun bist du schnell beim blocken. Als Ex-Pirat ohne Fehl und Tadel (Vorsicht: Ironie), als Politik-Schiedsrichter spreche ich dir wegen Selbstblindheit die Kompetenz ab, vom Ende der Piraten zu fabulieren, allenfalls von deinem traurigen, weil ich-schwachen Ende.
    Verzeih die deutlichen Worte, aber du bist ja selber ein Freund selbiger bei anderen. Es geht um mehr als um deine Befindlichkeiten, deine Gruppenzugehörigkeit, es geht ums Ganze. Kein Mensch hat immer Recht, und kein Mensch macht alles falsch. Als Schiedsrichter hast du wohl auf dem Fußballplatz das letzte Wort, aber nicht selbsternannt im Leben, schon gar nicht bei uns Piraten.

    Ich wünsche dir viel Erfolg als Ex-Pirat

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