Verzweifelter Brief eines jüdischen Friedenskämpfers aus Jerusalem
Verzweifelter Brief eines jüdischen Friedenskämpfers aus Jerusalem

Verzweifelter Brief eines jüdischen Friedenskämpfers aus Jerusalem

Ein Gastbeitrag von KARL-HEINZ BEHR

Reuven Moskovitz, Überlebender des Holocaust, Kibbuzim und Friedensabenteurer mahnt: Du sollst nicht töten

Reuven Moskovitz - Quelle: Günter Hammer
Reuven Moskovitz
Quelle: Günter Hammer

Wut und Verzweiflung: „Noch bin ich gesund und gehe auf mein 86. Lebensjahr zu. … Während ich diese Zeilen schreibe, erschüttern mich die Ermordung der drei jüdischen Jugendlichen und die Entführung und die Verbrennung bei lebendigem Leibe eines 14- jährigen Palästinenser, wie auch die gescheiterte Entführung eines 9-jährigen palästinensischen Kindes. Inzwischen wird der Gaza-Streifen heftig bombardiert. … Schon lange handelt man in Israel/Palästina nach dem Motto ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn´“, schreibt Reuven Moskovitz am 8. Juli aus Jerusalem an seine Freunde in Deutschland.

Verzweiflung ist neu. Lebensfreude und Tatendrang prägten bisher eher das Naturell des israelischen Friedensaktivisten, trotz allem. Trotz der schlimmen Erlebnisse während Nazi-Zeit und Krieg in seiner rumänischen Heimat, trotz der schwierigen Flucht mit 19 Jahren nach Israel und der Rückschläge in den Friedensinitiativen, bei denen er sich von Anfang an engagierte, nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 als Sekretär der neu gegründeten „Bewegung für Frieden und Sicherheit“. Begeisterung für sein Land Israel schwang immer mit, wenn er in Vorträgen und vor deutschen Schulklassen vom jüdischen Leben im Schtetl erzählte, die aktuelle Nahostpolitik analysierte oder die Möglichkeiten des friedlichen Zusammenlebens von Israelis und Palästinensern in Israel aufzeigte. Hoffnung begleitete seine demonstrative Fahrt mit dem Segelschiff am Jom-Kippur-Tag, dem Tag der Versöhnung, vor vier Jahren von Zypern aus Richtung Gaza.

Und nun klingt zum ersten Mal Verzweiflung in Moskovitz´Worten: „Ich wende ich mich jetzt an euch mit meinen letzten Atemzügen. Das gefährlichste Konzept, Krieg zu vermeiden, ist das israelische, das davon ausgeht, dass Terror nur mit immer weiterer Gewalt besiegt werden kann. Ich erinnere an das Gebot „Du sollst nicht töten“, das für mich auch bedeutet, selbst dann nicht zu morden, wenn andere morden. Zu morden ist aber schon immer das wichtigste Konzept sowohl der israelischen Politiker als auch eines Teils des palästinensischen Widerstands gewesen.“

Selbst wenn er, wie Abraham, einhundertfünfundsiebzig Jahre alt würde, Reuven Moskovitz wäre wohl immer noch unterwegs zwischen Jerusalem und Berlin und seinem kleinen Häuschen nördlich von Haifa an der libanesischen Grenze – „Gefährlich? Ach wo. Die Raketen von beiden Seiten fliegen doch drüber weg“ – . Seine blauen Augen lachen meist. Vermutlich wollte er auch mit einhundertfünfundsiebzig Jahren noch vor Gemeindegruppen und Friedenskonventen in Ehrenkirchen bei Freiburg, Lindau und Neve Shalom seinen Traum von den beiden friedlich zusammenlebenden Völkern in seiner Heimat Israel herauf beschwören. „Jahrelang bin ich ruhelos in der Fremde herumgeirrt; jetzt bin ich gekommen, um ruhelos in der Heimat umherzuirren“, zitierte er einmal den jüdischen Dichter Itzig Manger. Wie könnte er auch ruhig sein, der kleine kompakte Mann, kariertes Hemd und glatt zurück gekämmte graue Haare, Baggerfahrer und Geschichtslehrer, wie könnte er ruhig sein angesichts palästinensischer Flüchtlingslager, dem wachsenden Einfluss religiöser Fanatiker und Nationalisten unter Juden und Palästinensern, neuen Siedlungen und dem Unrecht, das täglich in der Westbank und in Gaza geschieht.

„Ich habe zwei Befreiungen erlebt.“ Moskovitz spricht betont langsam. „Die erste war die Befreiung unseres Schtetl Frumuşica durch die Rote Armee, das allerdings wie eine Geisterstadt war, als wir zurückkehrten. Die zweite Befreiung war für mich der Kniefall von Willy Brandt im Warschauer Ghetto. Ich habe das mit feuchten Augen gesehen. Dieser Mann hat die Brücke gebaut über den Abgrund, der mich trennte von Deutschland. Willy Brandt hat mir geholfen, mich von meinem Hass zu befreien. Du kannst Dir nicht vorstellen was für eine Befreiung das ist, wenn du überwindest den Hass, der an dir nagt und nagt und nagt.“ Seither möchte er in der „Stadt der Liebe“ leben, sieht sich in Israel aber umgeben von einer „gefährlichen Pest aus Hass, Rachegelüsten und Nationalismus, die nur in Zerstörung enden kann“. Wie könnte er da ruhig sein. „Israels Entstehung ist ein Wunder, aber unsere Machthaber sind maßlos geworden. Sie wollen keinen Frieden, weil die denken, wir werden immer Erfolg haben und irgendwann werden wir alleine sein in diesem Land, das uns verheißen wurde. Das stimmt nicht. Das Land wurde nicht uns alleine verheißen sondern allen Kindern Abrahams, eben auch Ismael, dem noch vor Jakob Geborenen, den die Palästinenser als ihren Stammvater ansehen.“ Wie könnte er ruhig sein, wo soviel Weisheit und so viel Lüge so nahe beieinander wohnen: „Auf drei Säulen ruht die Welt, sagt eine jüdische Weisheit: Wahrheit, Recht und Frieden. Wie aber kann es Wahrheit, Recht und Frieden geben, wenn wir Juden auf unserem Recht und der Entschädigung für begangenes Unrecht bestehen, uns aber weigern, das Unrecht anzuerkennen, das wir den Palästinensern zugefügt haben? Israel ist ein Apartheidstaat, in dem die ultraorthodoxe Klerikale den Weg zurück ins Mittelalter anstreben. Und dazu gibt es in Deutschland bei vielen Menschen eine willige Blindheit gegenüber dieser Wahrheit.“ Da ist einer, der glauben will, dass Wahrheit nur laut und deutlich genug ausgesprochen werden muss, um zu überzeugen.

Anlässlich der Verleihung des Amos-Preises 2011 in der Stuttgarter Erlöserkirche hatte er gesagt: „Ein Volk, das ein anderes unterdrückt, kann nicht frei sein. Der Frieden mit dem palästinensischen Volk ist der Schlüssel zum dauerhaften Frieden mit Israel.“ Zusammen mit der Palästinenserin Dr. Sumaya Farhat-Naser war ihm der Preis der „kirchenpolitischen Vereinigung ‚Offene Kirche‘ innerhalb der Evangelischen Kirche in Württemberg“ für Zivilcourage in Kirche und Gesellschaft´ verliehen worden.

2013: „Verzweiflung ist ein Luxus, den wir uns nicht leisten können,“ hatte Reuven Moskovitz noch den kleinen Friedenskonvent beschworen, der in den Friedensräumen der Villa Lindenhof bei Lindau zusammen gekommen war. Entmutigt waren schon damals die Teilnehmer aus München, Berlin, Aachen und Freiburg im Wintergarten der Villa am Bodensee zusammen gekommen, entmutigt angesichts der tagesaktuellen Nachrichten aus Israel. Was könne überhaupt getan werden, bei solch bedrohlichen Konflikten, was könnten Friedensräume bewirken, angesichts der massiven Gewalt und wolle überhaupt jemand in Neve Shalom / Wahat al Salam ein solches Vorhaben, wie von Moskovitz vorgestellt. Er wollte in dem Friedensdorf zwischen Jerusalem und Tel Aviv ein Projekt nach dem Vorbild der Lindauer Friedensräume entstehen lassen. Mit Hilfe deutscher Freunde und Pax Christi. Sowohl Palästinenser als auch Israelis sollten dort das Recht haben, ihre Version der geschichtlichen Ereignisse zu erzählen, die Darstellungen sollten gleichberechtigt neben einander dargestellt werden können: Der „Sechs-Tage-Krieg“ der einen neben der „Juni 1967 Aggression“ der anderen. Was die einen „Ha´Schtachim“, die „ besetzten Gebiete“ nennen ist für die anderen „Palästina“. „Im Augenblick werden die israelischen Narrative mit Macht durchgesetzt. Das Anhören der jeweils anderen Version wäre ein erster Schritt zum Frieden,“ hoffte Moskovitz. Das war 2013.

Heute wiederholt Moskovitz seine vielfach geäußerte klare Forderung an die Deutschen mit besonderem Nachdruck: „Ich appelliere an die Bundesrepublik Deutschland, aus der einseitigen, pro-israelischen Politik in dem Konflikt zwischen Israel und Palästina auszusteigen. Wie lange schaut die Regierung in Deutschland weiterhin nur zu, wie die Gewalt im Nahen Osten eskaliert. Wird die Bundesregierung weiter schweigen angesichts dieser schrecklichen Geschehnisse?“

Zum Anti-Kriegstag am 1. September 2014 plant Reuven Moskovitz zusammen mit deutschen Freunden ein starkes Signal für den Frieden in Aachen. Sieben Wochen sind es noch bis dahin.

Quellenhinweis: Wir danken Herrn Karl-Heinz Behr für die Zustimmung zur Zweitverwendung. Dieser Beitrag wurde auch veröffentlicht in Kontext: Wochenzeitung Nr. 172 und evangelisch in Freiburg am 14.07.2014. Dank auch an Herrn Günter Hammer für die Überlassung des Fotos von Herrn Reuven Moskovitz

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