Zornpolitik: Wie Emotionen unsere Gegenwart bestimmen
Zornpolitik: Wie Emotionen unsere Gegenwart bestimmen

Zornpolitik: Wie Emotionen unsere Gegenwart bestimmen

Die verbreiteten Zerrbilder einer islamischen Eroberung Europas mobilisieren bei vielen diffuse Ängste – verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen nutzen das für ihre Zwecke

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Uffa Jensen

Gäbe es einen Seismografen, mit dem wir die politischen Gefühle einer Gesellschaft messen könnten, würde dieses Gerät in unserer Gegenwart schwere Erschütterungen aufzeichnen. Die Liste der Beispiele ist lang: Im Wahlkampf 2017 beschimpften Bürger*innen die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf vielen Marktveranstaltungen mit zum Teil wüsten Schmähungen. In vielen Kommunen des Landes kommt es seit den Dresdner Pegida-Umzügen ab 2014 immer wieder zu lautstarken Demonstrationen, die gelegentlich sogar in gewalttätige Ausschreitungen münden, wie jüngst in Cottbus. In Berlin wurde vor Weihnachten der jüdische Inhaber eines Restaurants von einem Anwohner hemmungslos antisemitisch beleidigt, trotz (oder wegen) der aufzeichnenden Handykamera. In den sozialen Medien wie Facebook und Twitter hat sich ein beleidigener Ton etabliert, der bei jeder Diskussion über Flüchtlinge, Asylbewerber*innen und Muslime zusätzlich eskaliert. Viele Politiker*innen – und sogar der überparteiliche Bundespräsident – erleben auf ihren Web- und Facebook-Seiten zügellose Tiraden an Beleidigungen und Unverschämtheiten.

Zwei Emotionen stechen aus den gegenwärtigen politischen Debatten hervor: Angst und Zorn. Sie entzünden sich regelmäßig bei Fragen der Einwanderung und insbesondere des Islam in Deutschland. Bei vielen Menschen mobilisieren die verbreiteten Zerrbilder einer islamischen Eroberung Europas diffuse Ängste. Diese Gefühlslage gewinnt durch den islamistischen Terrorismus, der seit einigen Jahren europäische Gesellschaften bedroht, zusätzliche Plausibilität und Dringlichkeit. Zugleich werden solche Ängste auch auf Menschen übertragen, die schon länger in Deutschland heimisch sind und früher eher als Türken wahrgenommen wurden, aber jetzt in das Angstbild vom Islam integriert werden. Gerade das Moment der Konturlosigkeit und Uferlosigkeit ist für diese Gefühlslage sehr wichtig, stellt doch Angst im Gegensatz zur Furcht ein ungerichtetes Gefühl dar: eine Art undifferenzierter Zustand der Ängstlichkeit.

Die zweite Emotion – der Zorn – zeigt sich beispielsweise in der Empörung über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unter Angela Merkel. Hier werden politische Entscheidungen als Unrecht am deutschen Volk hingestellt, durch das sich die Zornigen selbst verletzt sehen. Im Gegensatz zur Wut, mit der man sich in einer Art ungerichtetem Zustand über alltägliche Hindernisse aufregen kann, ist Zorn viel stärker auf ein konkretes Objekt gerichtet: Auch in diesem Fall bietet sich hierfür der Islam an. Zugleich ist der „heilige Zorn“ moralischer. Es geht ihm um eine Verletzung der gesellschaftlichen Werte. Im Hintergrund des Zorngefühls steht damit eine vorgestellte moralische Ordnung des deutschen Volkes, welche die Politik und – umfassender – die gesellschaftlichen Eliten angeblich zerstören wollen.

Die deutsche Gesellschaft befindet sich also in einer Art emotionalem Ausnahmezustand. Das ruft politische Trittbrettfahrer auf den Plan, die diese Emotionalisierung weiter Bevölkerungsteile für sich nutzen und zugleich verstärken wollen.

Der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD) gelang es nicht zuletzt durch diese Gefühlslage, in viele Länderparlamente und letzten September 2017 auch in den Bundestag einzuziehen. Die Vertreter dieser Partei spielen zum Teil virtuos mit solchen Emotionen: Als der AfD-Spitzenkandidat Georg Pazderski im Berliner Senatswahlkampf 2016 für seine Behauptung kritisiert wurde, dass es eine steigende Kriminalität unter Ausländern gäbe, obwohl dies durch die amtliche Kriminalitätsstatistik nicht gedeckt war, verteidigte er sich mit dem Satz: „Das, was man fühlt, ist auch Realität.“ Eine solche Haltung stellt einen perfiden Schachzug dar. Wer ihr widerspricht, droht damit zugleich, die Gefühle derjenigen zu negieren, die über die Kriminalität unter Ausländern besorgt sind. Nüchtern Fakten, in diesem Fall staatlich zur Verfügung gestellte Zahlen, stehen gegen gefühlte Wahrheiten – und wer mit dem Ersten die Zweiten verneint, missachtet Gefühle.

Emotionen scheinen viele Vorteile für eine rechtspopulistische Politik zu haben:
Sie besitzen etwas Unhintergehbares. Wenn wir sie fühlen, scheinen wir ihnen ausgeliefert zu sein. Wir empfinden Gefühle oft wie körperliche Zustände, die uns hinterrücks überkommen. Das macht sie besonders für Personen attraktiv, die Vorurteile in die politische Auseinandersetzung tragen wollen. Wer Angst vor vermeintlich kriminellen Ausländern hat, der lässt sich nicht von amtlichen Statistiken von dieser Emotion abbringen; er beharrt darauf. Wer Juden oder Muslime nicht mag, kann sich auf sein Unbehagen zurückziehen. Man habe nun einmal dieses Gefühl, da lässt sich nichts machen!

Doch gegen diesen Eindruck hat die Emotionsforschung der letzten Jahrzehnte herausgearbeitet, dass wir unseren Gefühlen nicht hilflos ausgeliefert sind. Wir wissen in unserem Alltag, was wir tun müssen, wenn wir ängstlich oder zornig sind. Wir reden uns gut zu. Wir machen einen Spaziergang, um uns zu beruhigen etc. Solche Emotionstechniken können wir auch in der Politik anwenden.

Zugleich können wir lernen, die Tricks der Emotionsverführer zu durchschauen.

Wir verstehen dann das perfide Spiel, mit dem sie den anders entstandenen gesellschaftlichen Unmut auf wehrlose und dafür unschuldige Personengruppen wie Ausländer, Asylbewerber, Juden oder Muslime lenken. Zweifelsohne ist es legitim, Emotionen zu haben – wie sollte es anders sein? Auch kann es gute Gründe geben, zornig zu sein oder Angst zu empfinden. Die gesellschaftliche Aufgabe muss es jedoch sein, den Ursachen für derartige soziale Gefühle auf den Grund zu gehen und die einfachen Ursachenketten der Rechtspopulisten – Emotionen resultieren aus der Einwanderung und dem Islam – zu hinterfragen.

Eine ganz andere, aber nicht weniger drängende Frage lautet: Welches Maß an Emotionalität ist einer gesellschaftlichen Ordnung, einem politischen System zuträglich? Viele Politiker reagieren auf die Emotionen, die sie aus der Bevölkerung heraus bedrängen, mit dem Ruf nach mehr Vernunft und einem rationalen Verständnis von Politik. Abgesehen von der wissenschaftlichen Einsicht, dass Rationalität und Emotionalität keinen Gegensatz bilden, sondern auch Emotionen ihre rationale Logik besitzen, liegt hier auch ein Missverständnis über die Rolle von Emotionen in der Politik vor. Jedes demokratische System basiert auf einer gefühlten Ordnung, ohne die es zu erodieren droht. Es ist durchaus plausibel, dass die gegenwärtige gesellschaftliche Erregung durch den Mangel an politischen Emotionen verursacht wird. In der gegenwärtigen Politik herrscht ein rationaler Pragmatismus vor, sodass die Bürger und Bürgerinnen den Eindruck gewinnen, dass sie nur zwischen verschiedenen Scheinoptionen des gleichen technokratischen Politikverständnisses wählen können. Dagegen bietet sich eine Verweigerungshaltung an, wie sie sich in den Gefühlen der Angst und des Zorns manifestiert. Auf diese Problemlage mit politischen Emotionen, mit einer emotionaleren Politik zu antworten, bleibt eine Aufgabe der Zukunft.

Dieser Beitrag erschien erstmals in der Hochschulzeitung TU intern Februar 2018 der TU Berlin. Wir bedanken uns bei Prof. Dr. Uffa Jensen und der TU-Preseestelle für die Zustimmung zur Zweitverwendung

Vertiefende biografische Angaben zu Prof. Dr. Uffa Jensen hier: Antisemitische Hassbilder

 

 

 

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