Ich hab nichts gegen weibliche Brüste: Ein Plädoyer für eine erotische Männerquote in der Alltagserotik.
Ich hab nichts gegen weibliche Brüste: Ein Plädoyer für eine erotische Männerquote in der Alltagserotik.

Ich hab nichts gegen weibliche Brüste: Ein Plädoyer für eine erotische Männerquote in der Alltagserotik.

 

Ein Beitrag von Elle Nerdinger

Disclaimer: Dieser Text ist an den heterosexuellen, cis-normativen Diskurs angepasst. Der Cyborg der diesen Text verfasst hat, ist sich dessen sehr bewusst. Wir können uns nicht auf die Avantgarde stützen und uns dort verstecken, die Bedingungen im Mainstream sind die wirklich politischen. This is where it matters. Die begleitenden Bilder stellen eine spielerische Umkehrung des Status Quo dar. 

Die Debatte um die Darstellung von Fauenkörpern in den Mainstreammedien reisst nicht ab. Es gibt eine Petition zur Abschaffung der nackten Damenbilder in der Bildzeitung, es gibt einige Initiativen gegen sexistische Werbung, Rollenklischees die schon im Kindesalter greifen und andere Ungemache unserer heutigen Zeit die je nach Genitalbewuchs verschiedene Auswirkungen haben. (Ja das ist cis-sexistisch, die Welt ist dies leider noch. Die Vermutung von Genital auf Gender oder Identität schließend ist noch zu laut im Raum hallend.)

Was mir jedoch fehlt ist das Gesamtbild. Denn Werbung, Zeitschriftencover und Konsorten auf denen nackte Damen prangen sind sexistisch. Allerdings liegt der Sexismus meines Erachtens nicht in der reinen nackten Darstellung sondern in einem Ungleichgewicht der nackten Darstellungen. Ich hab ehrlich gesagt nichts gegen nackte Frauen in der Bildzeitung oder anderen Boulevardmedien. Ich habe aber etwas gegen die Abwesenheit von nackten Männern und die Abwesenheit von körperlicher Vielfalt und dem teilweise Fehlen eines Geben und Nehmen des erotischen Blicks in der (heterosexuellen) Alltagserotik. Wir sind mitten in den Wehen einer Entwicklung die manche aufgeregte Trendorakel „Female Shift“ nennen, oder auch einfach in den Zeiten des Umbruchs in denen ein Blickwinkel allein nicht mehr reicht. Vive la diversificacion!  In dieser Zeit des Auffächerns der Blickwinkel haben wir die Wahl entweder nostalgisch an alten Mustern festzuhalten und dadurch schlechten Sex zu riskieren, oder uns endlich zu entspannen: Sex ist einerseits Fortpflanzung und andererseits Vergnügen, Motivation und Machtmittel. Heutzutage beginen große Teile des sogenannten „Establishments“ endlich zu verstehen, dass Diversity keine Megacity in einem Sci-Fi Film ist, sondern eine wichtige soziale und politische Aufgabe in unserer Sci-Fi gewordenen Welt. Daher ist es

Bildquelle: http://shirtlifting.tumblr.com/post/122035416734/joao-sousa

essenziell, die Darstellung von Erotik und Sex durch Symbole und alltagserotische Bilder, entsprechend an die sich verändernde Realität anzupassen.

Bezüglich der Bildzeitung hatte ich in meinen jungen Jahren ein sehr amüsantes Schlüsselerlebnis. Es begab sich an einem Abend mit meinem schwulen Arbeitskollegen während der Ausbildung. Er hatte die Bild-Zeitung bei sich liegen und wir bewunderten einen sich auf einem Fell räkelnden schönen Mann auf Seite Eins. Das war eine mittlere Sensation, denn der Kalender zeigte nicht den 8. März an. Es war Anfang Dezember, daher nicht das offensichtliche „Gnadenbrot“ für Frauen. Dieser Ausnahmemann war irgendwie außer der Reihe dort an der Stelle für halbnackte Damen gelandet. Wir waren begeistert und glotzten.

Mein lieber Kollege und ich waren so erfreut, dass wir uns bei der Redaktion mit einem Leserbrief bedanken wollten. Wir wollten zum Ausdruck bringen, dass wir Menschen die auf Männer stehen eben auch Augen im Kopf haben und sehr wohl gerne erotisch inszenierte Männerkörper sehen. Daher habe ich in unserem Namen spontan ein Fax geschrieben (es war 1999, Leute!) und sofort losgeschickt. Am nächsten Morgen wurde ich von keiner Geringeren als Frau Katja Kessler auf meiner Büronummer, ich hatte sie spaßeshalber angegeben, persönlich angerufen. Sie hat sich über das Fax gefreut und ich sollte doch an die Kö in die Düsseldorfer Redaktion kommen und ein kleines Interview geben, so als junges Wesen, das gern schöne Männer ansieht. Ich war stolz wie ein Schneeborg. Ich wurde gehört. Meine Sichtweise war irgendwie relevant genug.

Am nächsten Tag kam dann ein kleiner Bericht über meine positive Reaktion auf den tollen nackten Mann vom Vortag. Der kleine Text war nicht einmal überheblich sondern einfach freundlich bestätigend, dass junge Damen halt auch gern mal was zum Angucken haben.

Bearbeitet mit: http://funny.pho.to/de/playboy-magazin-cover/# Bildquelle: http://www.hotguyschat.net/post/140449897594/giovanni-bonamy#_=_

Dieser Vorfall macht mich bis heute stutzig. Es steckt eine Chance darin. Alternativ- oder Erweiterungskonzepte kommen in dieser Sache eventuell weiter als reine Kritik oder Abschaffungsgesuche. Es stellt sich die Frage ob wir prinzipiell auf Erotik im alltäglichen Medien verzichten wollen, oder die Erotik diversifizieren möchten.  Wenn ich mich nicht über den derzeitigen Überhang an erotischen Darstellungen von Weiblichkeit aufrege, sondern den Mangel an erotischen Männerdarstellungen kritisiere, bekomme ich meistens konstruktive bis freundliche Reaktionen. Man(n) fragt sich selbst oft „Warum denn nicht?“ anstatt mir nach einer Beschwerde über „zu viel Titten“ mit „Sex sells“ und „ist halt so“ zu kontern. Die Diskussion befindet sich durch diese Betrachtungsweise von mir im Raum der Alltagserotik. Nicht gegen sie. Meine Beschwerde will die Alltagserotik nicht in Frage stellen, sie will diese vielmehr erweitern. Ich schlage vor: Das Zielgruppenspektrum soll größer werden, wir wollen Sexualität endgültig aus der Schmuddelecke holen und sie zu etwas normalem wie Essen oder Kunstgenuss machen. Wir sind schon auf halbem Weg dortin.

Aber das mit dem Zielgruppenspektrum gestaltet sich aufgrund der derzeitigen sich langsam ändernden heterosexuellen Sexualkultur, etwas komplizierter als man denken mag. Es gilt nämlich erst zu Fragen, warum Frauen immer noch überall als Symbol für Sex herhalten und Männer meistens in dieser allgemeingültigen, Erotik verkörpernden Form eher im schwulen Bereich zu finden sind. Heterosexuelle Erotik besteht, ganz verkürzt und pauschal beschrieben, aus einem betrachtenden und dann agierenden Mann und einer angesehenen Frau mit der der Mann im nächsten Schritt interagiert. Das Einverständnis der Frau war nicht immer selbstverständlich und wird mitunter heute noch heftigst debattiert.

Im Übrigen ist es an dieser Stelle interessant anzumerken, dass das Ja-Wort bei der Eheschließung eine Art Einverständnisritual für die Frau war, dass im frühen Mittelalter von der Kirche eingeführt wurde. Ganz gnädig war sogar der Patron der Iren, St. Patrick, der es den Damen der Schöpfung in jedem Schaltjahr am 29. Februar erlaubte, ihrem Angebeteten einen Heiratsantrag zu machen. Das sollte die Geschlechterrollen ausgleichen, so wie der Extratag des Schaltjahres den Kalender ausgleicht.

Bild: young_forever by thejamesstark-CC-BY-SA 3.0 http://thejamesstark.deviantart.com/art/young-forever-330322184

Genauso wie die Alibi-Männer am 8. März in der Bildzeitung. Apropos Nackedeis in Boulevardmedien, in den 80er Jahren gab es ein paar Jahre lang den so genannten „Page 7 Fella“ als Pendant zum Page 3 Girl in der britischen SUN. Fragt sich Mensch, warum man das nicht einfach wieder einführt. Es wäre prickelnder.

Das nächste bezüglich der Zielgruppe ist die Mär, dass „Männerkörper halt nicht so ästhetisch ansprechend sind wie Frauenkörper“. Das ist eine sexistische Behauptung die zwar einen Blickwinkel repräsentiert der halt Frauen präferiert aber weit weg von einer allgemeinen Gültigkeit. Schon allein die alten Griechen würden vehement dagegen argumentieren und die Schönheit des Mannes preisen. Ein Caravaggio oder Michelangelo würde den Vogel zeigen. Das einzige was an Männern derzeit vielleicht nicht „schön“ ist, dass durch hypermaskuline Geschlechterklischees eine gewisse Eleganz und Verletzlichkeit abhanden kommt. Authentische erotische Ausstrahlung kommt meist mit einer Verletzlichkeit daher, die ein Individuum zeigt. Es zeigt, ich bin kein unbesiegbares wesen sondern einnehmbar. Sexy, vielleicht auch für den Menschen der mich betrachtet verfügbar. Diese Bevorzugung von Frauenkörpern als Trägerinnen von Erotik führt dazu, dass Frauen sich selbst durch zwei Paar Augen betrachten: Erst als Frau dann durch die Augen eines imaginären mannes. Ihre eigene „Fuckability“ abschätzend. Das ist meines Erachtens, zusammen mit der Mär vom schöneren Frauenkörper der Grund, warum der Einbahnstraßenblick von Mann auf Frau auch in erotischen Medien „für Frauen“, es gibt Ausnahmen, ja, teilweise fast überall Frauen abgebildet sind. So als Projektionsfläche für sich selbst. Im Kreis drehend. Der Mann wird dazugedacht. Wie öde. Wie ungeil. Wie allseitig sexistisch.

Daher ziehe ich den Schluss, dass die (deutsche) Sexismusdebatte derzeit in einer Schieflage steckt, denn das gesamte Bild von Sexismus und Ungerechtigkeit wird gar nicht erst angesprochen. Die Aspekte von gerechten Augenschmäusen werden weder von federführenden feministischen Medien aufgeführt, noch von irgendwem anderes als Alternative zu den reinen Damenparaden die man zumindest in Deutschland oft in Augenschein nehmen darf. In der englischsprachigen Welt jedoch, geht der Trend in der Werbung zumindest zu einigem an erotischen Männerdarstellungen als Verkaufsargument. Dieser Trend kommt aber auch mit seinen Nachteilen: Der Druck auf Männer steigt, sie kommen langsam aber Sicher auf Augenhöhe mit den Damen der Schöpfung was Stress mit Schönheitsidealen betrifft. Dabei sollte das mit den schönen Körpern in der Alltagserotik eben nicht nur einseitige, teils unrealistische Körperformungen betreffen, sondern eben Diversität fördern. Ich könnte an dieser Stelle des Teufels Advokaten spielen und behaupten, dass wenn der Schönheitsstress auch die Männer betrifft, dann langsam Empathie aufkommt. Vielleicht ist dann endlich Ende Gelände mit schwer erreichbaren Körperidealen und Bodyshaming? (Ein kleiner Ausblick ist, dass es analog zur Rubensdame den Dadbod gibt. Allerdings ist auch diese Debatte nicht gerade Fallstrickfrei weil da zuweil ungemütliche Dynamiken aufkommen.) Noch ein kleines „Problemchen“ ist, dass manche heterosexuelle Männer immer noch ein Problem damit haben sexy Männer zu sehen. Sie könnten schwul werden? Dann wäre ich bei den Massen an Titten und Muschis die ich mittlerweile freiwillig oder unfreiwillig sehen musste sehr lesbisch.

Als letztes möchte ich hier festhalten, dass diese Diskussion im Prinzip sehr elementar ist. Sie ist so wichtig wie die Diskussion über Wirtschaft, Einkommen und unser soziales Miteinander auf mehr Menschlichkeit, Augenhöhe und Miteinander umzustellen. Sexualität ist ein essenzieller Teil unserer Menschheit und ist keine Nebensache, auch wenn manche das immer wieder gerne behaupten. Sex sells. Sex makes the World go round. Sex ist eine Motivation, ein Ansporn und eine Hauptsache im Leben.So wie wir unsere Sexualität kultivieren, so sind unsere Machtstrukturen. So wie wir mit Körpern umgehen, ist unsere Gesundheit. Diese Diskussion ist wichtig und sie wird viele Kinder haben.

TL;DR: Die Welt ist sexistisch, jedoch sind die meisten Debatten um den Sexismus in Medien recht kurz greifend und kommen einer gesunden Sexualkultur so nicht zu Gute. Wir haben die Möglichkeit unsere Alltagserotik neu zu strukurieren und für mehr als eine Hauptzielgruppe umzugestalten. Diese

 

Umgestaltung sollte von einer Diskussion über Körperdiversität begleitet werden. Einseitige Schönheitsideale sind ungesund.

Im Nachgang möchte ich mich gedanklich weit aus dem Fenster lehnen und folgende vage Behauptungen von mir geben. Sie sollen als Gedankenspiel gelten, nicht als hieb- und stichfeste Beweise für Veränderungspotenzial:Quelle: Wellcome Library Lizenz: CC-BY 4.0

1. Wenn Frauen im Heteroraum Männerkörper stärker sexualisiert sähen, als verfügbare Sexsymbole zu sehen bekämen, dann würde sich auch eine dialoghaftere Anmachkultur etablieren können. Dadurch muss das Objektifizieren auf Augenhöhe passieren, sodass alle es kennen ihren Körpertypen objektfiziert zu sehen. Diese Augenhöhe könnte jedoch zu interessanten, vielleicht auch erhellenden Erlebnissen führen. Angenommen Frauen gewöhnen sich daran Männer derart zu objektifizieren wie Männer es derzeit tun. Manche ungehobelte Hippen könnten somit auch anfangen dahergelaufene Männer mit Obzönitäten anzubrüllen, sie zu betatschen oder ihnen hinterherzupfeifen. Diese Männer würden es irgendwann richtig Scheisse finden. Vielleicht setzt dann etwas mehr Empathie ein, dass Catcalling und sexuelle Belästigung scheisse ist und nicht einfach ein „Problemchen“ ist das Männerkarrieren stürzen kann wenn irgend eine Dame mit Vergewaltigungsvorfürfen um die Ecke kommt. Vielleicht rafft dann auch der Letzte, dass dieses Minenfeld alle Menschen – auch heute – betrifft und endlich das grassierende Problem sexuelle Belästigung ernster genommen wird von manchen Leuten.

2. Wenn Männer ermuntert werden würden ihre sexuelle Selbstdarstellung stärker und bewusster zu kultivieren und ihre erotischen Körperselfies besser in Szene zu setzen, hätten wir weniger tölpelhafte Schwanzfotos und mehr körperlichen sexuellen Dialog im digitalen Flirtraum. In diesem Fall würde auch die angenommene Gleichung „Gratisporno von mir für Gratisporno von dir“ eher aufgehen. Einvernehmliche Absprachen natürlich vorausgesestzt.

 

 

Bildercredits:

  1. HE-ROTIC: Bildquelle: Shirtlifting, Tumblr
  2. Playboy-Spoof: Bearbeitet mit funny.pho.to   Bildquelle: Hotgyschat
  3. DIAMOND Katalog young_forever by thejamesstark-CC-BY-SA 3.0
  4. THEMA: Wikimedia Commons, ursprüngliche Quelle: Wellcome Library Lizenz: CC-BY 4.0

 

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